Antisemitismus unterm Dach der Kirche

In einer Warschauer Kirche wurden die „Protokolle der Weisen von Zion“ nach der Messe verkauft / Das Märchen einer jüdisch-zionistischen Verschwörung wird von katholischen und Partei-Betonköfpen gleich gerne erzählt / Ehemaliger Kämpfer der antijüdischen „Falanga“ als Spitzenfunktionär der Partei  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

„Da wir selbst das Opfer der erbarmungslosen Hetze von seiten jüdischer Nationalisten sind, möchten wir Sie unserer Solidarität mit Ihnen und allen Österreichern versichern, die sich den schändlichen Versuchen wiedersetzen, das ganze österreichische Volk zu diskreditieren. Im Kampf mit den dunklen Kräften des jüdischen Rassismus können Sie, Herr Präsident, und das österreichische Volk auf Unterstützung von uns Polen rechnen“, schrieben Unbekannte vor einiger Zeit an Kurt Waldheim.

Dieselben Unbekannten zeichnen sich auch verantwortlich für andere, ähnlich antisemitische Appelle, die wie der Waldheim -Brief in letzter Zeit an verschiedenen Stellen in Warschau verbreitet wurden, unter anderem in zwei Kirchen und der Warschauer Universität. Eine dieser Kirchen, in der Nagorna -Straße gelegen, wurde durch die um sie herum stattfindenden Aktivitäten sogar recht bekannt, nicht nur in der polnischen Presse. Dort konnte man monatelang gleich stoßweise antisemitische Hetzschriften, wie etwa die Protokolle der „Weisen von Zion“, kaufen. Aufgrund von Protesten wurde der Verkauf dann zwar eingestellt, allerdings erst, nachdem die Sache bis vor den Vatikan gegangen war. Krzysztof Sliwinski, der in der Sache aktiv war: „Es gibt Anzeichen dafür, daß die Gruppe von ziemlich weit oben gedeckt war.“

„Ziemlich weit oben“, das heißt nicht nur von der Miliz, die dem Treiben angeblich mit Freude zusah, traten doch die jungen Leute, die die Schriften verkauften, nicht nur gegen Juden, sondern auch gegen Alkohol und Drogen und für den Dienst in der Armee ein. „Ziemlich weit oben“, das meint in diesem Fall auch die Kirchenspitze. Selbst Primas Glemp, so heißt es in Warschau, habe das Treiben gedeckt, schließlich sei die Kirche ja für Pluralismus. Und schließlich sitzt einer der Vorreiter dieser Art von Pluralismus, der katholische Professor Maciej Giertych, im Beratungsdienst des Primas und in Jaruzelskis Konsultativrat. Und gleichzeitig publiziert er in jenen Machwerken, die an der Nagorna-Straße verkauft wurden. Polens Falange

Warschauer Studenten erzählen, der Verkauf laufe nach wie vor, nur eben jetzt unter der Hand, weniger auffällig. Und Sliwinski, der diese Art von Pluralismus wie viele Mitglieder der demokratischen Opposition für „eine Schande“ hält, weist darauf hin, daß es Punkte gibt, in denen die Betonköpfe der Partei mit den Betonköpfen der Kirche ganz gut zusammenpassen. So ein Punkt ist der Antisemitismus, wie auch die Geschichte zeigt: Am 1.Mai 1937 wurde der Demonstrationszug der jüdischen, sozialistischen Organisation „Bund“ in Warschau am hellichten Tag beschossen. Sechs Teilnehmer wurden verletzt, ein fünfjähriges Kind getötet. Täter war eine faschistische Splittergruppe mit dem einprägsamen Namen „Falanga“. Führer und Chefideologe der „Falanga“ war Boleslaw Piasecki, der sich im Krieg dadurch auszeichnete, daß er in Zusammenarbeit mit der Gestapo die Liquidierung linker Untergrundgruppen betrieb.

Als der Krieg zu Ende war, übernahm ihn der sowjetische Geheimdienst und vertraute ihm die Leitung von „Pax“ an, einer Organisation, die dazu bestimmt war, der katholischen Kirche möglichst viele Priester und Gläubige abspenstig zu machen, um so ihren Einfluß zu begrenzen. Bis in die siebziger Jahre war Piasecki Mitglied des polnisches Staatsrates.

Der Fall Piasecki ist längst nicht der einzige Versuch, sich die Erfahrungen faschistoider Antisemiten für die Tagespolitik nutzbar zu machen. So wird beispielsweise die Krakauer Tageszeitung 'Literarisches Leben‘ von einem Parteimitglied geleitet, das ebenfalls eine piaseckische Karriere hinter sich hat. Wladislaw Machejek wurde ebenfalls übergangslos vom Faschisten zum Stalinisten, der er heute noch ist. „Jüdische Verschwörung“

Den jüngsten Versuch der Partei, die Opfer der antisemitischen Kampagne von 1968 teilweise zu rehabilitieren, bezeichnete er in einem Kommentar als „opportunistisch“. Es habe 1968 sehr wohl eine zionistische Verschwörung gegeben. Das Gerede von der „zionistischen Verschwörung“ ist das Pendant der Parteidogmatiker zu dem Gerede der katholischen Antisemiten von der „jüdischen Verschwörung“. Für die einen sind die Juden schuld, weil der Kommunismus schlecht funktioniert, für die anderen sind sie schuld, daß es ihn überhaupt gibt. Davon abgesehen eignen sie sich in beider Augen auch hervorragend als Sündenböcke. Jacek Kuron: „Keiner ist so überzeugt davon, daß Polen antisemitisch ist, wie unsere Kommunisten. Und das versuchen sie auszuspielen, wenn es ihnen dreckig geht.“

Als Kuron 1976 mti anderen Intellektuellen zusammen das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) gründete, um verfolgte Arbeiter zu unterstützen und über Polizeirepressionen zu berichten, warnte die Parteipresse vor der „jüdischen Clique“. Und noch heute glauben manche Polen, KOR sei eine jüdische Verschwörergruppe gewesen.

Als 1980 die konservative Parteifraktion angesichts der Entwicklung der freien Gewerkschaft „Solidarität“ mit dem Rücken zur Wand stand, rief sie einige Organisationen ins Leben, die sich des Erbes Piaseckis als würdig erwiesen. Zu Jahresanfang 1981 entstanden fast gleichzeitig verschiedene Parteiforen, wie das „Forum Katowice“, der „Klub Warszawa 80“ und die Veteranenvereinigung „Grunwald“. Allen gemeinsam war neben ihrer Feindschaft zu „Solidarnosc (die sie als „Pennerhaufen“, „Pöbel“ und „Meute“ bezeichneten) ihr Kampf gegen „zionistische Tendenzen in der Partei“. „Grunwald“, mit der 150.000 Exemplare starken Auflage seines Wochenblattes 'Rzeczywistosc“ (Wirklichkeit) im Rücken, trat offen antisemitisch auf, was die jüdische Kulturvereinigung zu einem scharfen Protest veranlaßte. Und während der Krise in Bydgoszcz 1981 warfen Armeeflugzeuge Flugblätter ab, in denen Solidarnosc als jüdische Verschwörung beschimpft wurde.

Inzwischen ist der Betonflügel der Partei ziemlich zusammengestutzt worden, die Wortführer sind in Rente oder auf unbedeutende Posten abgeschoben worden.

Dennoch kommt es immer wieder zu Störmanövern an der „antizionistischen Front“. Im Vorfeld der halbherzigen Rehabilitierung der Märzopfer von 1968 zu Anfang dieses Jahres erschienen denn auch prompt zwei Bücher, in denen die Theorie von der zionistischen Verschwörung verteidigt wurde. Und in Lublin, wo „Grunwald“ besonders stark vertreten ist, wurde der jüdische Friedhof verwüstet. Zugleich tauchten an der Warschauer Uni die ersten Waldheim-Briefe auf, die übrigens in einer Diktion verfaßt sind, die auf den Sicherheitsdienst der Polizei recht deutlich hinweist. Antisemitismus

wird zum Thema

Anzeichen für Antisemitismus in Polen sind insbesondere in der französischen und israelischen Presse immer für Schlagzeilen gut, und deren Korrespondenten entdecken dann auch manchmal Antisemitismus in Polen an Stellen, wo es ihn beim besten Willen nicht gibt. So berichtete kürzlich eine französischen Wochenzeitung von einer „antisemitischen Oppositionsgruppe namens KPN“, die, was dem Journalisten entgangen war, die oppositionelle Gedenkveranstaltung zum Jahrestag des Ghettoaufstands mitorganisiert hatte. Gerade jene Veranstaltung zeigt, daß das polnisch-jüdische Verhältnis und die Frage des Antisemitismus aufgehört haben, für die Opposition ein Tabu zu sein.

Begonnen hat die innerpolnische Diskussion mit einer Artikelserie des katholischen Wochenblattes 'Tygodnik Powszechny‘, in der das Verhalten der Polen gegenüber den während der deutschen Besatzungszeit von der Ausrottung bedrohten Juden gegenüber behandelt worden war. Das Krakauer Blatt hat sich inzwischen große Verdienste um den christlich -jüdischen Dialog erworben, für den sich Chefredakteur Turowicz auch persönlich engagiert. So sehr, daß er bereits das Mißfallen eines vermutlich unheilbaren Antisemiten, des Londonder Exilpolitikers Jedrzej Giertych auf sich gezogen hat.

Jedrzej Giertych ist Verwandter des oben erwähnten Maciej Giertych und führt von London aus einen anachronistischen Kampf für die Ideale der Nationaldemokratischen Partei, der er vor dem Krieg angehört hat.

Die Nationaldemokratie war eine populistische, rechtsgerichtete, nationalistische Massenpartei, die unter der Führung Roman Dmowskis offen antisemitisch auftrat und an den Hochschulen Schlägereien mit jüdischen Studenten vom Zaun brach. Jedrzej Giertych erregte vor kurzem Aufsehen, als er in einem Rundschreiben an alle polnischen Priester die Initiativen des christlich-jüdischen Dialogs der Häresie beschuldigte. Unterschiedliche

Bewertungen

Giertychs Ausfälle wären nur lächerlich, wenn das Gedankengut der Nationaldemokraten in Polen nicht immer noch weit verbreitet wäre, gerade auch in katholischen Kreisen. Fast regelmäßig erscheinen in 'Lad‘, einer katholischen Wochenzeitung, die sich vom 'Tygodnik Powszechny‘ durch eine betont nationale Tendenz unterscheidet, Artikel über Roman Dmowski. Und die vor allem in Gdansk beheimatete Bewegung „Junges Polen“ unter der geistigen Führung des Walesa -Beraters Alexander Hal beruft sich offen auf Dmowski. Betont wird dabei stets, man wolle nur die Verdienste des Staatsmannes Dmowski würdigen, verschwiegen wird dabei, daß Dmowskis Weltbild weitgehend von einem blinden Antisemitismus geprägt war, demzufolge er überall jüdische und freimaurerische Verschwörungen sah. Die Verdienste des „großen Staatsmannes und bedeutenden Polen Dmowski“ würdigte vor kurzem auch Primas Glemp in seinem Vorwort zu einem Dmowski-Buch einer nationalistischen Exilorganisation. Da nimmt es nicht wunder, daß der Primas von den Autoren jener antisemitischen Publikationen der Nagorna-Straße ganz besonders in Schutz genommen wird. Krzystztof Sliwinski: „Im Gegensatz zu anderen europäischen Völkern fehlt in Polen noch weitgehend das Bewußtsein dafür, daß Antisemitismus nach Auschwitz etwas anderes ist als vorher.“

Die Ansichten, welche Bedeutung dem latenten Antisemitismus in Polen zukommt, ob es ihn überhaupt gibt, gehen auseinander. Sliwinski, der sich selbst für den jüdisch -polnischen Dialog engagiert: „Vorfälle wie die um die Kirche in der Nagorna-Straße erfahren ein Presseecho, das ihre Bedeutung bei weitem übersteigt. Tatsächlich erleben wir im Augenblick in Polen eine ausgesprochen philosemitische Welle.“

Anders sah dies Wiktor Kuleski, der unlängst in der bekannten Untergrundzeitschrift 'Krytyka‘ schrieb: „Der gegenwärtige polnische Antisemitismus ist eine schmerzhafte und schädliche Krankheit.“ Er kenne Pfarrer, die den Gläubigen erklärten, die versöhnlichen Gesten des Papstes gegenüber den Juden seien nur Taktik. In Straßenbahnen, Hinterhöfen und auf der Straße höre man antisemitische Beschimpfungen, Gräber auf jüdischen Friedhöfen würden verwüstet und Denkmäler beschmiert. Adam Michnik, selbst jüdischer Abstammung, widerprach ihm in der gleichen Nummer: „Ich rede nicht gerne vom polnischen Antisemitismus, lieber von in Polen auftretendem Antisemitismus, denn Antisemitismus ist nicht das Wesen des polnischen Nationalcharakters.“ Es gebe, so Michnik weiter, in Polen Antisemitismus wie in anderen Ländern auch, aber das sei nicht das Problem des Antisemitismus des polnischen Volkes, sondern der Antisemiten. „Daß in zwei Warschauer Kirchen antisemitische Schriften verkauft werden, heißt nicht viel. Es gibt schließlich in Polen mehr als nur diese zwei Kirchen.“ Die Bedeutung des Problems ist Michnik indes nicht entgangen: „Der Antisemitismus ist das Lackmuspapier in dem Streit, ob Polen ein offenes, tolerantes oder ein xenophobes und verklemmtes Land ist. In diesem Streit bin ich ganz auf der Seite meines Freundes Wiktor Kuleski.“