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Damals, als Züri brannte

■ „Wendel“, ein 60minütiger Film des Schweizer Regisseurs Christoph Schaub, erzählt von zwei Veteranen, die damals, als „Züri brannte“ dabei waren: Was ist aus ihnen geworden?

„Wenn Du heute mit der Tram fährst, dann zahlst du das Billett“, ist der pointierteste Satz, mit dem David seinem Freund Wendel erklärt, was sich verändert hat in Zürich, seit den „good, old days“ der alternativen Szene. Beide haben sich seitdem gut eingerichtet: David im Züricher Alltagsleben, Wendel in Amerika und hat dort sogar geheiratet: „Das macht man da halt so“. Die beiden waren damals verliebt ineinander gewesen, das hatte David schon fast vergessen, aber jetzt ist Wendel zurückgekommen, und David beginnt wunderschön zu leiden.

Die beiden verbringen einen Tag gemeinsam, aber sie sind sich fremd geworden - David, der die Spontisprüche und Ansprüche ernstgenommen hat, trauert der vergangenen Idylle hinterher und ist immer noch verletzt, weil Wendel ihn damals verlassen hat. Der hat in dieser Zeit vieles ausprobiert, und alles hinter sich gelassen, als ihn das Beziehungschaos zu nerven begann. „Machst du immer noch mit Männern rum?“ - man ist einander fremd geworden.

Der Film erzählt ruhig und unspektakulär von den beiden. Die Schwarzweißbilder zeigen ein tristes, sehr kühles Zürich, mit Szenekneipen, Uferpromenaden, einem Ferienhaus. Wenn sie in einer Dorfkneipe halt machen, sieht man in einer langen Einstellung älteren Männern beim Ke

geln zu. Man merkt, daß Christoph Schaub von seinen Erfahrungen und seiner Heimat erzählt. Unangestrengt und athmospärisch stimmig, erzählt er, ohne das man das Gefühl bekommt, daß uns der Autor seinen Standpunkt aufdrängen will. Nur in den kurzen Rückblenden wirds symbolisch: da balanciert Wendel gewagt auf dem Geländer über einem Stausee, beide singen ein politisches Lied, oder sehen sich auf dem Sofa die historische Fernsehdiskussion von Dutschke und Cohn-Bendit an. Und wenn dann nur noch ein Yogurtbecher im Kühlschrank ist, und damit der Beziehungsstreit anfängt, wirds peinlich. Aber außer diesen zu gewichtigen Szenen, ist „Wendel“ angenehm leicht und lakonisch inszeniert. Die schwule Liebe wird ganz selbstverständlich präsentiert, was bei einer heterosexuellen Liebesgeschichte schon ein wenig nach Klischee gerochen hätte, wirkt hier noch ganz frisch und echt.

Mit 60 Minuten hat „Wendel“ auch die richtige Länge, und so kommt man noch in den Genuß eines höchst vergnüglichen Kurzfilmes: „Der K Effekt“ vom Schweizer Daniel Calderon. Er geht von dem berühmten Experiment des Filmpionier Kuleschow aus, in dem das unbewegte Gesicht eines Schauspielers zwischen verschiedene Motive geschnitten wurde, wobei sein Ge

sichtsausdruck immer unterschiedlich auf den Zuschauer wirkte. Die fiktive Geschichte dieses Versuchs und der Filmkopie, die immer wieder verloren geht, verändert und verstümmelt wird, ist eine sehr witzige und intelligente Fussnote zur Filmgeschichte. Und weil Daniel immer ein wenig unbestimmt, drömmelig aussieht, wenn die Rückblenden auf die idyllischen siebziger Jahre kommen, kann man das Experiment im Hauptfilm gleich überprüfen. Wilfried Hippen

Heute bis Donnerstag im Cinema, 18.45 Uhr.

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