: Ozon-Kongreß tadelt Politiker
Wissenschaftler appellieren an Verbraucher: Versäumnisse der Politik über den Markt ausbügeln Ein sofortiges Verbot der Fluorchlorkohlenwasserstoffe würde sich erst in Jahrzehnten niederschlagen ■ Aus Hannover Jürgen Voges
Gesicherte Ekenntnisse, um endlich handeln zu können, hatte der Staatsekretär im Bundesforschungsministerium, Gerhard Ziller vergangenen Montag in Göttingen bei der Eröffnung des „Quadrennial Ozone Symposium 1988“ von knapp 400 Wissenschaftlern aus 31 Ländern erbeten. Gefragt, ob man der Politk nun die verlangten Antworten geben könne, konnten die acht internationalen Ozon-Experten, die am Samstag die Ergebnisse der Öffentlichkeit vorstellten, nur müde lächeln. Zu lange drängen sie die verantworlichen Politiker nun schon zum Handeln.
Die Wissenschaftler aus aller Welt haben sich in Göttingen nicht nur mit der seit vier Jahren bekannten Abnahme des Ozons über der Antarktis beschäftigt. Auch über der Nordhalbkugel hat dieses das Leben vor der gefährlichen Ultravioletten Strahlung schützende Gas schon um etwa sechs Prozent abgenommen. Allein Professor Reinhard Zellner von der Uni Göttingen, der auch Mitglied der Enquete-Kommission des Bundestages „Schutz der Erdatmosphäre“ ist, nahm am Samstag die Politiker gegen den Vorwurf der Untätigkeit in Schutz.
Immerhin sei die Produktion von FCKW's in der BRD von ehemals 26.000 Tonnen pro Jahr schon jetzt auf 12.000 Tonnen gesenkt worden und wenn das sogenannte „Montreal-Abkommen“ umgesetzt werde, solle die bundesdeutsche Jahresproduktion an FCKW's sogar auf 5.000 Tonnen sinken. Natürlich hält auch Zellner einen sofortigen totalen Stopp der FCKW-Erzeugung in der BRD für notwendig. „Doch ein Verbot“, so sagt er, „kann nur international durchgesetzt werden“ und im Falle der Bundesrepublik verhindere schon das EG-Recht „nationale Alleingänge“. Die Enquete-Kommission des Bundestages schlage daher vor, das Montreal-Abkommen, das eine Reduktion des FCKW-Verbrauchs um 50 Prozent bis 1998 vorsieht, im EG-Raum zu verschärfen. Bis 1995 soll nach diesem Vorschlag auf 85 Prozent der FCKW's verzichtet werden.
Aber selbst ein sofortiges weltweites Verbot der gefährlichen Treibgase und Kühlmittel, würde die Anreicherung von FCKW's in den oberen Schichten der Atmosphäre erst in Jahrzehnten bremsen. Auf einer Graphik, mit der Professor Rowland die bisherige und die in den nächsten Jahrzehnten erwartete Zunahme von FCKW's in der Stratosphäre verdeutlichte, war der erwartete Effekt des Montreal-Abkommens kaum erkennbar. Ein sofortiges totales Verbot führe erst um die Jahrtausendwende zu einer sichtbaren Abflachung der steil ansteigenden Parabel, das Montreal-Abkommen würde den FCKW-Anstieg in den nächsten 15 Jahren nur um zwei bis drei Prozent vermindern.
Je nach Ort, Klima und Jahreszeit wäre bis dahin mit einer Zerstörung der Ozonschicht um 20 bis 50 Prozent zu rechnen. Die FCKW's brauchen viele Jahre um aus den unteren Luftschichten, der Troposphäre, bis in 25 Kilometer Höhe aufzusteigen. Ein Großteil der jetzt schon produzierten gefährlichen Gase wird erst in Zukunft unserem Müll entweichen und die Zeit, in der sich die FCKW's in der Stratosphäre wieder abbauen, schätzt man gegenwärtig auf etwa 100 Jahre. „Es bleibt uns nichts anderes übrig, als die Produktion sofort zu verbieten“, sagte Professor Rowland, „und dann abzuwarten, was in den nächsten 150 Jahren passiert“. Szenarien über die Abnahme der Ozonschicht gibt es seit vierzehn Jahren. Seit vier Jahren ist der Nachweis für diese Wirkung der FCKW's geführt, in Göttingen ist dieser Effekt durch zahlreiche Ergebnisse von Laborversuchen noch einmal bestätigt worden. Verantwortlich für die unkalkulierbaren Risiken, die nun drohen, sind nach Ansicht des belgischen Ozonforschers Guy Brasseur die Regierungen und die internationalen Gremien, die seit Jahren gut über die Probleme informiert seien und nicht gehandelt hätten. Der einfache Konsument, der Spraydosen benutze, wisse kaum etwas über die Stratosphäre.
Aber auch an die Verbraucher haben sich die in Göttingen tagenden Ozon-Experten gewandt. Wenn die Konsumenten von sich aus auf FCKW-haltige Produkte verzichten würden, verstärke dies erheblich den Druck auf die Regierungen, sagte der neuseeländische Professor Andrew Matthews. Wenn die Verbraucher FCKW-freie Produkte verlangten, so sagte Professor Rowland voraus, dann sei in einem Jahr das Problem der Ersatzstoffe gelöst. Bisher habe die Industrie immer behauptet, es dauere zehn Jahre, um solche Ersatzstoffe zu entwickeln. Aber erst wenn der Verbraucher sie verlange und damit ein gewinnträchtiger Markt für diese Stoffe vorhanden sei, dann würden sie auch angeboten.
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