: HEILIGER BIMBAM!
■ Manekiny von Zbigniew Rudzinski in der Neuen MusikTheaterWerkstatt
Wenn sich die Guckkastenbühne auf der Seite des Foyers im ersten Stock der Deutschen Oper öffnet, erblicken wir ein ärmliches Gelehrtenstübchen, so ein bißchen wie in Spitzwegs „Armer Poet“. Rostbraunes holziges Gebröckel dominiert, alles ziemlich duster, darin Bett, Schrank und Tisch, auf dem eine vergammelte Spitzendecke dümpelt. Am Tisch sitzt eine Mischung aus uraltem Hausvater und Gottvater, im abgeschabten Rock und mit langen, weißem Resthaar. Passend hierzu wird er sich im weiteren Verlauf des öfteren eines bedeutend erhobenen Zeigefingers befleißigen, woran wir dann merken, daß er die Hauptperson dieser Oper ist und Wichtiges zu sagen hat. Gleich zu Beginn mit auf der Bühne sind zwei kecke Mädels in schlichtem Linnen und mit schwarzen Strümpfchen, die sich gleichen wie ein Ei dem anderen. Sie plappern mit Piepsstimmchen und sind „dumme Mädchen“, wie wir dem Vorwort des Komponisten im Programmheft entnehmen, die „dem philosophischen Vortrag Jakubs“ nicht zu folgen vermögen. Sie haben weiße Gesichter, alles sieht nach Puppentheater aus.
Höhepunkt des Geschehens ist der Moment, in dem Jakub einer Domina mit roter Peitsche (gegen Carla Drops eine schlappe Nummer) zaghaft die Schenkel knetet. Dann bevölkern urplötzlich, wohl als interruptus zur Verhütung von Schlimmerem, lauter puppenhafte Gestalten mit gruselig grünen, schwarzen und weißen Gesichtern und staksigen Zombiebewegungen den Raum. Ganz am Schluß darf der arme Greis sein Köpfchen in den Schoß der schönen Hausmagd Adela betten, dazu läuten die Glocken.
Wie bitte? Der Komponist erläutert: „Und da kommt die Coda, das Tüpfelchen auf dem 'i‘... In einer Novelle, in der Dichtung schlechthin, darf der Autor die Handlung aufhängen lassen, aber im Theater warten wir auf die Pointe! Und ich gebe sie eben: Plötzlich nach dem letzten Mißerfolg, der Niederlage Jakubs, als ihn schon alle verlassen und er allein zurückbleibt - da kommt die Aufhellung! Gottesgnade erstrahlt! Jakub wird beseelt!“ Dunnerlittchen, so haben wir gar ein faustisches Künstlerdrama vor uns mit geweihten und geölten Leiden? “... Er erlebt ein doppeltes Drama: Als Schöpfer, der eine unvollkommene Welt bildet, und als schaffender Künstler, dessen Hand künstlerisch unvollständige, krüppelhafte Werke entkommen.“ Der arme Jakub wird immer nur mißverstanden, und leider macht der Komponist keinen Versuch, uns zu erklären, was denn nun Jakub eigentlich zu erzählen hat. Statt dessen gibt's aufgeblasene Verquastheiten wie: „Die Zeit im Symbolausdruck und die Zeit in der Musik kollidieren nicht miteinander.“ Das wär ja auch zu schön gewesen!
Vom Text ist zum Glück, oder leider?, nichts zu verstehen, weil er polnisch gesungen wird. Ach ja, die Musik, über sie gibt es nicht viel zu sagen, weil sie vorwiegend mit Streichern funktional und gestisch die Bühnenvorgänge verdoppelt. Und das macht sie wirklich nett, mit lauter spannenden Tremoli. Der Komponist, Herr Zbigniew Rudzinksi, zeigte sich nach der Vorstellung dem Publikum, sah aber zum Verwechseln aus. Auf dem Plakat der „Neuen MusikTheaterWerkstatt“ ist er auch prompt verwechselt worden, man hat ihn dort mit dem Geburtsdatum 1913 versehen, das aber zu Herrn Witold Rudzinski gehört, während unser Herr Zbigniew erst 1935 geboren wurde. Oder war es Absicht der Veranstalter, ihn dem Altar seiner Bühnenfigur Jakub anzugleichen?
Sehr zu loben ist trotz faden Altmännergegrübels und Gottesgefürchtel die Ensembleleistung der Sänger der Warschauer Staatsoper, und wer alles einfach als nettes Puppentheater nimmt, ohne das Programmheft zu lesen, mag sich daran freuen, aber die Freude neuer postmoderner Formen des Katholizismus kommen auf ihre Kosten.
Grelmat
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