MACHT ABER VIEL ARBEIT

■ Nonos „Prometeo“ als Auftakt der Festwochen

Luigio Nonos Prometeo nutzt Texte von Aischylos, Hesiod, Nietzsche, Rilke, Benjamin und anderen. Das Stück braucht einen gewaltigen Troß an Spezialisten und Solisten (Vocalitas & Instrumentalitas), zwei Dirigenten, vier Klangregisseure und mehrere Tonnen Hardware für die Live -Elektronik. Der Kompositionsprozeß hat viele Jahre gedauert bis zur Uraufführung 1984 in der Kirche San Lorenzo zu Venedig. Und er war damit nicht zu Ende, denn jede neue Aufführung bekam auch eine neue Fassung. Wer das Werk hören will, muß, je nach dem, etwa zweieinhalb Stunden volle Konzentration bringen. Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.

Luigi Nonos Prometeo ist eine „tragedia dell‘ ascolto“

-eine Tragödie des Hörens oder auch eine Hörtragödie. Ursprünglich sollte es einmal eine Oper werden, jetzt ist es ideale Musik für einen Kammermusiksaal - „kongenial für dieses einzigartige Gehäuse, das damit zum ersten Mal rund um bespielt wird“, wie Festspielintendant Eckardt am Dienstag nachmittag im Foyer des Kammermusiksaals mitteilte aus Anlaß einer Ausstellungseröffnung, die als Prolog zum Auftakt der Eröffnung der Berliner Festwochen fungierte (d.h. doppelt und dreifach Buffett etc.). (Daß die große Schwester nebenan wieder einmal baupolizeilich geschlossen ist, macht nur eine weitere Pointe der Pointe hiesiger Lokalpossen aus.)

Am Abend ist das Gehäuse dann zum sakralen Klangraum geworden, von Musik ursurpiert bis hinauf in den letzten Winkel. Die Solisten und die Lautsprecher gruppieren sich rund um in der Arena - aber anders als bei klassischen Raummusiken wie etwa Stockhausens Carree wird das Publikum nicht feindlich umzingelt. Nonos Prometeo ist Schmuggelgut - eine Art fürsorgliche Belagerung: Der Ton ist mitten unter uns und hört mit. Hört sich selber zu und lauscht sich nach: In den Pausen und in ppppp bis an die Grenzen des Hörbaren, in molltrüben Schichtungen und zarten Mikrointervallen. Glasmusik. Wunderliche Klänge, die vergessen haben, wie sie gemacht werden, wandern bedächtig vor sich hin.

Luigi Nonos Prometeo ist auch absolutes Adagio: Lyrisch und langsam haben die kostbaren Klänge kein Boden unter den Füßen, der Rhythmus ist der Musik abhanden gekommen. Fast durchweg würden sich einfache Viertel schlagen lassen, besser noch taugte ein ruhiger Herzschlag oder das schwere Pendel einer Uhr. Mit gleichförmiger Beliebigkeit hat das freilich nichts zu tun. Zum Meditieren darf sich niemand zurücklehnen und keiner verläßt den Raum. Dazu ist die Tektonik zu streng, die Organisation zu präzise - diese Musik, so leicht sie sich gibt, schwitzt doch unablässig schwerste intellektuelle Anstrengung aus. Nach gut einer Stunde haben die Berliner genug von ihrer Fassung der Hörtragödie, der Exodus beginnt in allen Blöcken. Nur eben ausnahmsweise Nono zu Ehren im Adagio - das Publikum stiehlt sich wie in Haydns Abschiedssymphonie das Orchester nach und nach dezent davon.

Früher war Luigi Nono das linke politische Gewissen der Avantgarde, manch einer nahm ihm dann die Esoterik seines Spätwerkes ziemlich übel. Ein Bildungsbürger aber ist Nono schon immer gewesen. Und, was das Komponieren anbetrifft, wohl eher noch ein Aristokrat. Er leistet sich den Luxus des reinen Herzens, absolut kompromißlos und persönlich integer. Er behauptet: „Auch das Zarte, Private hat seine kollektive politische Seite... Ich will die große, aufrührerische Aussage mit kleinsten Mitteln.“ Die Pointe der Pointe hierbei ist, daß sich diese Formel ebensogut von hinten lesen läßt: Bei Prometeo nämlich hat die schiere Arbeit mit großen aufrührerischen Mitteln die Aussage fast verschwinden lassen. Prometheus und sein Mythos sind aufgegangen im Klanglabyrinth, die großen Zitate zerarbeitet dergestalt, daß nur die traurige kleine Botschaft übrigbleibt: Oh Mensch. Das kann natürlich jeder sagen. Aber nicht so nobel, so stundenlang und mit so vielen schönen Stellen.

Elisabeth Eleonore Bauer