: Biedermänner in der Opferhilfe
Ausgerechnet Eduard Zimmermanns „Weißer Ring“ bietet vergewaltigten Frauen materielle Hilfe / Aber: Klischees vom „reinen“ Opfer bestimmen die Beratung / Gutachter mißbraucht Frauen als Forschungsobjekte ■ Von Irene Stratenwerth
Das oberste Vereinsziel des „Weißen Rings“ ist die Hilfe für Opfer von Gewalt- und Straftaten. Dafür hat der Verein seit seiner Gründung vor zwölf Jahren bundesweit mehr als 37 Millionen Mark ausgegeben: Spendengelder, Mitgliedsbeiträge und Bußgelder. Etwa zwei Drittel derjenigen, denen der Weiße Ring hilft, sind Frauen. In Hamburg zum Beispiel war in den letzten Jahren jeder fünfte Fall, um den sich der Weiße Ring kümmerte, ein Fall von Vergewaltigung, sexueller Nötigung oder Mißbrauch.
Der ideologische und gesellschaftliche Hintergrund des Weißen Rings ist kein Geheimnis. Sein erster Vorsitzender ist der FernsehJournalist Eduard Zimmermann, der mit seinem Evergreen „XY ungelöst“ einmal im Monat Angst und Schrecken in deutschen Wohnstuben verbreitet und rechtschaffene BürgerInnen zur Verbrecherjagd anhält. Unter den 29 Männer und zwei Frauenköpfen, die in einer Broschüre des Vereins als Regionalbeauftragte und Vorstandsmitglieder präsentiert werden, sind allein elf (zum Teil pensionierte) Polizeiprofis. Zum Beirat des Weißen Rings gehören auch Persönlichkeiten wie Walter Wallmann (Ministerpräsident in Hessen) oder Gerhard Boeden, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Die regelmäßig erscheinende Vereinszeitschrift bietet in endloser Wiederholung Geschichten von „dreisten Dieben“, „gemeinen Raubüberfällen“ und „dankbaren Opfern“, denen vom Weißen Ring geholfen wurde. Die Motivation der ehrenamtlichen MitarbeiterInnen des Weißen Rings macht ein Satz wie der folgende klar: „Die Übergabe des Präsentkorbes und der Blumen war für uns das schönste Ostergeschenk. Die Rührung und Dankbarkeit dieses Opfers wird uns ein unvergeßliches Erlebnis bleiben.“
Ausgerechnet dieser Verein bietet, was bislang keine andere gesellschaftliche Organisation zur Verfügung stellen kann: materielle Hilfe für vergewaltigte Frauen, vom Ersatz zerrissener Kleidung über Hilfen beim notwendigen Wohnungswechsel bis zur Finanzierung von Erholungsurlauben. Im April 1987 hat der Weiße Ring überdies den „Beratungsscheck“ eingeführt: Er berechtigt zu einer kostenlosen Rechtsberatung bei einem Anwalt oder einer Anwältin eigener Wahl, der Weiße Ring übernimmt die Kosten bis zu 250 Mark. Dieses Angebot veranlaßt auch feministische Anwältinnen und Notrufzentralen, Frauen an den Weißen Ring zu verweisen. Beraten wird, wer genehm ist
Frauen, die vom Weißen Ring Hilfe in Anspruch nehmen wollen, müssen einen ausgiebigen Fragebogen über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse und auch über die Tat ausfüllen. Sie müssen die MitarbeiterInnen des Weißen Rings dazu bevollmächtigen, bei der Polizei und anderen Behörden Erkundigungen über sie einzuziehen. Sie müssen beantworten, ob sie bereit sind, als Fallbeispiel für die Öffentlichkeitsarbeit des Weißen Rings herzuhalten. Andere Organisationen wie zum Beispiel die „Opferhilfe Hamburg e.V.“ oder Frauenhäuser lehnen solche Vermittlungsdienste für die Presse prinzipiell ab.
Wer nicht dem Bild vom reinen, unschuldigen Opfer entspricht, hat es schwer, materielle Hilfen vom Weißen Ring zu bekommen. Das gilt zum Beispiel für Prostituierte, die vergewaltigt worden sind. „In diesem Fall würde sich der Weiße Ring wohl eher raushalten“, formuliert es Dieter Eppenstein, Generalsekretär des Weißen Rings, vornehm. Schwierig wird es aber auch, so Marlies Werner vom Hamburger Weißen Ring, wenn eine Ehefrau von ihrem Mann mißhandelt wird, „wir aber nicht den Eindruck haben, daß die sich von ihrem Mann trennen will“. Marlies Werner bestätigt auch, daß der Weiße Ring Listen von unangenehm aufgefallenen BittstellerInnen führt, zum Beispiel von Drogenabhängigen. In den allermeisten Fällen wird die Beratung über materielle oder menschliche Hilfen von einem der über 1.000 ehrenamtlichen HelferInnen des Weißen Rings durchgeführt und nicht zuletzt von deren persönlichen Werte- und Normensystem hängt es dann wohl auch ab, ob finanzielle Mittel fließen oder nicht. Als Forschungsobjekt
mißbraucht
Dem Bild vom dankbaren Opfer entspricht auch Sabine D. (Name geändert) aus Hamburg nicht. Sie hat sich mit einem Rundbrief an alle Notruftelefone der Republik gewandt, um Frauen davor zu warnen, sich von Professor Harald Feldmann, Leiter des Institutes für Psychopathologie an der Uni Göttingen, untersuchen zu lassen. Feldmann arbeitet seit Jahren in enger Kooperation mit dem Weißen Ring an einer großangelegten Studie über Langzeitschädigungen bei Vergewaltigungsopfern. Der Weiße Ring, der diese Arbeit möglicherweise publizieren wird, hat ihm dafür 75 Frauen aus seiner „Opferkartei“ vermittelt - Frauen, die sich der Bitte um Teilnahme an dieser Studie wohl nicht so ohne weiteres entziehen konnten, nachdem der Weiße Ring ihnen geholfen hatte.
Für Sabine D., die von Professor Feldmann im Rahmen eines Rentenverfahrens begutachtet wurde, war die Untersuchung „eine Wiederholung der Tat auf einer anderen Ebene“. Obwohl sie klipp und klar erklärt habe, daß sie lesbisch sei, habe sie einen seitenlangen Fragebogen ausfüllen müssen, „bei dem ich mir Geschlechtsverkehr mit einem Mann vorstellen und angeben mußte, als wie befriedigend ich die unterschiedlichsten sexuellen Praktiken empfinde“. Erst später wurde Sabine D. klar, daß sie offenbar ganz nebenbei auch Forschungsobjekt für Professor Feldmann gewesen war. Eine körperliche Untersuchung durch den Psychiater habe sie nur mit Mühe abwehren können. Die Anwesenheit einer Begleitperson - Sabine D.s Freundin wartete vor der Tür habe er abgelehnt und darüber hinaus versucht, sie dazu zu überreden, ihre Freundin wegzuschicken. Zwei 15minütige Pausen gewährte der Professor im Rahmen der sechsstündigen Untersuchung. Nach Sabine D.s Schilderung nutzte er die Zeit auch dazu, seine Klischeevorstellungen von Vergewaltigern auszubreiten: „Das sind ja in der Regel nicht Leute wie die aus Ihrem Freundeskreis.“ Er selbst habe sich als Fachmann vorgestellt, dem die „besonderen Probleme vergewaltigter Frauen sehr vertraut“ seien. Auch Dieter Eppenstein vom Weißen Ring hält Feldmann für eine Kapazität zum Thema Vergewaltigungsopfer.
Ein Blick in die Publikationen des 63jährigen Professors bestätigt das nicht unbedingt. „Psychiatrie und Psychotherapie“ heißt ein von ihm verfaßtes Lehr- und Handbuch für Ärzte aus dem Jahr 1984. Zum Thema Sexualität referiert er darin den Stand konservativer Sexualwissenschaften der sechziger Jahre. Für die „Frigidität“ von Frauen zum Beispiel findet Feldmann keine andere Erklärung als die „libidinöse Beziehung zum Vater“ und eine sexualfeindliche Erziehung: Von möglichen Mißbrauchserfahrungen ist nicht die Rede. Wo sie vorliegen, scheint der Professor sie nicht gerade überzubewerten: „Das Alter des Opfers liegt bei Tatbeginn durchschnittlich zwischen 13 und 15 Jahren“, weiß er entgegen allen neueren Veröffentlichungen, und: „Verwahrlosungserscheinungen und Verhaltensstörungen der Opfer sind meist Folge des gesamten Familienmilieus und bestehen vielfach schon vor dem Inzest, dieser selbst hat keine nachweisbaren schädlichen Folgen.“ Während er bei Orgasmusstörungen des Mannes immerhin noch latente Homosexualität in Betracht zieht, taucht diese Überlegung bei Frauen nicht auf. Feldmanns Hauptsorge scheint die sexuelle Funktionsfähigkeit der Frau zu sein; im Zusammenhang mit Vaginismus („unwillkürliche Abwehrspannung der Vagina- und Beckenbodenmuskulatur“) wundert er sich: „Erstaunlich ist, wie manche Männer sich mit dem Vaginismus der Partnerin abfinden und eine jahrelange virginelle Ehe führen.“ Für das Leiden der Frauen findet er keine einfühlsamen Worte, es handelt sich seiner Einschätzung nach ja auch häufig um Frauen „mit phallischer aggressiv -unterwerfender und konkurrierender Charakterhaltung“. Reaktionen
Auf Sabine D.s Vorwürfe reagierte der Weiße Ring zunächst reserviert und wollte der Sache nachgehen. Nach einem Gespräch mit Feldmann entschied sich Generalsekretär Eppenstein dann, die sonst beim Weißen Ring so hochgelobte Solidarität mit dem Opfer aufzugeben und Sabine D. auch der taz gegenüber offen zu diffamieren: Es handele sich da schon um eine sehr „ungewöhnliche Patientin“, die ihre Kritik nur aus „prozeßtaktischen Erwägungen“ geäußert habe (Sabine D. ficht das Gutachten von Professor Feldmann an, verkündete Dieter Eppenstein, „das würde ein Blick in das Gutachten sicher bestätigen“. Den aber hatte Sabine D. dem Vertreter des Weißen Rings zu seiner großen Verärgerung nicht gestattet. Im übrigen, so Eppenstein, habe sich keine andere der 75 von Professor Feldmann beforschten Frauen beschwert. (Sabine D. bittet daher Frauen, die Erfahrungen mit Professor Feldmann gemacht haben, um Kontaktaufnahme über den Hamburger Notruf, Telefon 040/435082, bei Ferngesprächen wird zurückgerufen.)
Sicher - keine Frau wird vom Weißen Ring gezwungen, an Forschungsprojekten teilzunehmen. Und auch weiterhin werden Frauen die materiellen Hilfen des Weißen Rings in Anspruch nehmen müssen. Skandalös ist nicht an erster Stelle die Praxis des Weißen Rings; skandalös ist die Tatsache, daß sich ein chauvinistischer Biedermänner-Verein in der Hilfe für die Opfer sexueller Männer-Gewalt breitmachen kann, weil die Gesellschaft diesen Opfern so gut wie nichts anzubieten hat.
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