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26 Koalitionsrunden über die Finanzplanung?

Während der heute beginnenden Beratungen über den Bundeshaushalt geht der Streit um Verbrauchssteuererhöhung und familienpolitische Mehrausgaben quer durch die Regierungsparteien / Das Problem: Mehr Geld von der Bundesbank / Strauß besticht wieder einmal durch den originellsten Vorschlag  ■  Aus Bonn Oliver Tolmein

Wenn's um Steuern, ihre Erhöhung und Senkung, Reform oder Revolutionierung geht, packt Bonner Politiker die Leidenschaft: im Vorfeld der Haushaltsberatungen sind sich die Koalitionäre und Fraktionäre wegen der Verbrauchssteuern wieder in die Haare gekommen. Ob sie trotz unerwarteter, unter anderem durch den bessern Dollarkurs bedingten, Haushaltsmehreinnahmen erhöht werden sollen oder nicht, ist die Frage - und die Fronten verlaufen in gewohnter Manier kreuz und quer.

Einig sind sich die FDP und Teile der CDU-Sozialausschüsse (Christlich-demokratische Arbeitnehmerschaft, CDA) darin, daß die ursprünglich wegen steigender Belastungen durch die EG und der Notwendigkeit, die Neuverschuldung auf 30 Milliarden Mark zu begrenzen, beschlossenen Erhöhungen jetzt rückgängig gemacht oder zumindest reduziert werden sollen. Denn, so heißt es aus Martin Bangemanns Wirtschaftsministerium unmißverständlich, „die Steuerbeschlüsse dämpfen das Wachstum“. Diese Meinung hatten im Frühjahr bereits die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute vertreten und deswegen von einer Verbrauchssteuererhöhung grundsätzlich abgeraten: da die Verbrauchssteuern alle Haushalte gleichmäßig belasten also auch die finanzschwächeren, die nur beim Konsum sparen können - führt ihre Erhöhung zu erheblichem Kaufkraftrückgang. Und damit, wird aus den CDA ergänzt, auch zu einer Erhöhung der Arbeitslosenzahl, vermutlich im sechsstelligen Bereich.

Bundeskanzler Kohl und Finanzminister Stoltenberg setzen aber auf Kontinuität: was beschlossen ist, soll Beschlußlage bleiben. „Um Gottes Willen keine 26 Koalitionsrunden über die Finanzplanung“, stöhnt auch der baden-württembergische Ministerpräsident Späth, und der Vorsitzende des Sachverständigenrates Professor Schneider warnt mit einem schlagenden Argument vor einer Revision der Beschlüsse: „Es ist ganz wichtig, daß man sich darauf verlassen kann, was einmal in der Wirtschafts- und Finanzpolitik beschlossen worden ist.“ Denn diese Verläßlichkeit auch im Schlechten unterscheidet Finanzpolitik von Koalitionsabsprachen, wie sich bei genauerer Betrachtung des neu entflammten Verbrauchssteuerstreits zeigt.

Verlief dessen erste Runde - Rücknahme ja oder nein nämlich noch moderat, begleitet nur von ein paar wenigen Wirtschaftsjournalisten, kamen in der zweiten Runde hitzige Töne in die Debatte: die CDA erinnerten in Zusammenhang mit den erwarteten Mehreinnahmen nämlich an die familien- und sozialpolitischen Beschlüsse aus der Koalitionsvereinbarung. Dort ist eine Verbesserung der Leistungen des Familienlastenausgleichs, eine Verlängerung des Erziehungsurlaubes auf zwei Jahre und eine Kindergelderhöhung festgeschrieben - alles Vorhaben, die Kohl in seiner Regierungserklärung noch einmal angekündigt hat. Realisiert worden ist davon bisher nichts: weil alle sozialpolitischen Verbesserungen unter einen Finanzierungsvorbehalt gestellt worden sind. Jetzt aber, so die CDA, sei ja offensichtlich Geld vorhanden - und auf einer Bundesvorstandssitzung Ende August karteten sie noch einmal nach: es gehe nicht an, daß die familienpolitischen Maßnahmen unter einen Finanzierungsvorbehalt gestellt würden, die Verbrauchssteuern, die gerade auch Familien in den unteren Einkommensschichten belasteten, erhöht würden, andererseits aber die Finanzierung von in den Koalitionsvereinbarungen nicht mit einem Wort thematisierten Militärplanungen wie dem Jäger 90 vor entsprechenden Beschlüssen nicht einmal geklärt werde.

Das trieb den haushaltspolitischen Sprecher der FDP, Wolfgang Weng, wiewohl ebenfalls ein Gegner der Verbrauchssteuererhöhung, auf die Barrikade: „Es ist geradezu abenteurlich, wie die CDA leichtfertig Mehrausgaben des Staates fordern.“ Und auch die CDU -Mittelstandsvereinigung trat prompt auf den Plan, um die Senkung der Lohnzusatzkosten statt der Rücknahme der Verbrauchssteuererhöhung oder gar der Erhöhung von Sozialleistungen zu fordern. Nur so könne die bundesdeutsche Wirtschaft auf dem EG-Binnenmarkt 1992 konkurrenzfähig bleiben.

Während öffentlich geplänkelt und gestritten wird, zeichnen sich intern allerdings bereits Kompromißlösungen ab. Die Front innerhalb der CDA für eine Rücknahme der Verbrauchssteuern und die Einführung der versprochenen besseren familienpolitischen Maßnahmen ist nämlich keineswegs fest. Zwar heißt es, eine „breite Mehrheit“ im Bundesvorstand habe sich auf jeden Fall gegen die Verbrauchssteuerhöhung ausgesprochen - aber ausgerechnet der CDA-Bundesvorsitzende Fink gehört nicht dazu. Fink liegt offensichtlich mehr an den familienpolitischen Maßnahmen und er geht davon aus, daß beides nicht zu haben sein wird. Für eine Umwidmung der geplanten Erhöhungen von Tabak-, Benzin-, Erdgas- und Heizölsteuer zur Finanzierung sozialpolitischer Vorhaben scheint Fink aber Bündnispartner zu haben: sowohl dem Fraktionsvorsitzenden Dregger als auch CDU-Generalsekretär Geißler und Bundeskanzler Kohl liegt einiges an den familienpolitischen Maßnahmen. „Familienpolitik ist wohl das einzige Gebiet, wo wir durch die Unterstützung der Rechten wirklich mehrheitsfähig sind“, meint denn auch leicht resigniert ein Sozialausschüsse -Funktionär.

Gelänge es der Regierung tatsächlich, sozialpolitisch Punkte zu sammeln, indem sie verbesserte familienpolitische Leistungen durch Verbrauchssteuererhöhungen finanziert, wäre das in der Tat ein Propagandaerfolg allererster Güte: auch kinderlosen Leuten mit geringen oder gar Sozialeinkommen würde gleichmäßig genommen, was Gutverdienenden Familien gleichmäßig gegeben würde. Ob es soweit kommt, ist allerdings noch ungewiß, denn ob es tatsächlich zu den erwarteten Mehreinnahmen kommt und ob das gegebenenfalls zwei oder gar zehn Milliarden sein werden, ist bisher noch Spekulationssache. Nicht spekulativ ist allerdings eines: den schönsten Vorschlag für die Verwendung eventueller Mehreinnahmen hat, wieder einmal, Steuerexperte Strauß gemacht. Er will sie „in die infolge der Abrüstung notwendig gewordene Erhöhung des Verteidigungshaushaltes“ fließen lassen. Kiss you, darling.

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