: Hör-Funken: Worte & Taten / Nachholbedarf: "Kollaboration und Nationalsozialismus in Europa 1938-1945" / Letzte Worte: "Eine Nacht im schwedischen Sommer"
Worte & Taten („Und sie bewegen nichts?“, Bayern 2, 2005 2145) Ob sie nichts bewegen oder die Welt doch noch ein wenig zum Slowfoxtanzen bringen, wird prominenten und tonangebenden Philosophen als Frage vorgelegt, auf die sie exakt 100 Minuten Zeit haben, diverse Worte und Gedanken zu bewegen, welche die in einer „rapide sich verändernden Welt“ orientierungslos herumirrende Menschheit benötigt zumindest nach Auffassung der Philosophen selbst. Die 'Neue Unübersichtlichkeit‘, die seit einigen Jahren der Philosoph Habermas entdeckt, ist ein brauchbares Stichwort, um wenigstens den Philosophen selbst den philosophischen Trost zu spenden, daß sie gebraucht werden, um Begriffsschneisen in den Lebensdschungel zu schlagen, durch die sich zu der tröstlichen Erkenntnis kommen läßt, daß immerhin noch Philosophen wissen, wo es lang geht. Nur daß momentan die Philosophien selbst einen unübersichtlichen Schilderwald von Hinweisen zum wohlorientierten Dasein in der Postmoderne bieten. Mag sein, daß sie nichts mehr bewegen: sich selbst bewegen sie jedoch auf jeden Fall.
Nachholbedarf. („Kollaboration und Nationalsozialismus in Europa 1938 - 1945 (1)“, Hessen 1, 2100 - 2200) Über Kollaboration im Vichy-Frankreich gibt heute Lothar Baier zum Auftakt der zehnteiligen Serie Auskunft, die den Glorienschein allgemeinen & totalen Widerstandes in den von den Nazis besetzten europäischen Ländern ein wenig zu zerstreuen sucht. Kollaboration mit der Macht ist nicht nur ein dauerhaftes, sondern auch ein vielgestaltiges Thema. Neben den politischen Überzeugungstätern - es gab schließlich in fast allen europäischen Ländern faschistische Bewegungen - tauchen im Blick der Historiker vor allem die Alltagskollaborateure auf: Opportunisten, Karrieristen und andere geduckte Gestalten, die es eigensüchtig mit der Macht hielten und auf dem Schleim dahinglitten, der das Schmieröl aller reibungslosen Gesellschaftsordnungen ist. Von der Geschichtswissenschaft ist die Kollaboration mit den Nazis bisher kaum beachtet worden, und so holt die Serie des Hessischen Rundfunks einiges gründlich nach.
Letzte Worte. („Eine Nacht im schwedischen Sommer“, RIAS1, 2030 - 2200) Herr Erland Josephson, Schauspieler, nahm von den Dreharbeiten zu Andrej Tarkowskijs letztem Film Opfer so schwere Eindrücke mit, daß er sich davon in einem Hörspiel entlastete, das einige Stunden Dreharbeiten eines Films in Gotland beschwört, bei denen der Regisseur wie ein Held aus einem der Filme Tarkowskijs nach dem geheimnisvoll-richtigen Augenblick sucht, die Kamera in Gang zu setzen. Die Mitspieler sind zu langem Warten verdammt und schlagen die Zeit damit tot, über Leben und Kunst nachzudenken. In einer schwedischen Sommernacht gehen die Gedanken ans Wesentliche, und unmerklich geht das Hörspiel über Tarkowskijs letzten Film in Tiefsinn a la Tarkowskij über.
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