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UNTERBRECHERKONTAKT

■ Ein Nachruf auf „Le dialoque interrompu“ im Literaturhaus

Ein unterbrochener Dialog kommt nicht durch guten Willen wieder in Gang. Acht französische Schriftsteller waren in der letzten Woche ins Literaturhaus geladen worden, um den eingeschlafenen deutsch-französischen Literaturaustausch aus seinem etwa 20jährigen Dornröschenschlaf zu küssen. Die Schriftsteller, so glücklich sie über das wiedererwachte Interesse an französischer Literaturproduktion sein mögen, besonders was ihre jüngsten Übersetzungen ins Deutsche betrifft, fühlten sich doch nicht zum Literaturvermittler geboren. Es zeigte sich: Man kann nicht mit ihnen reden, man kann sie nur als Werk reden lassen. Was rauskommt, wenn sie nicht Werk lesen und man sie nach ihrem Handwerk befragt, klingt etwa folgendermaßen: Also ich stehe gegen Mittag auf, nachmittags bin ich an der Uni, abends schreibe ich dann (Marie NDiaye). Oder Philippe Djian: Ich stehe irgendwann morgens auf, rauche eine Zigarette, und wenn mir dann nachmittags was einfällt, schreib‘ ich es hin.Leslie Kaplan enthält sich der Antwort. Jean Echenoz, nach seinem literarischen Ansatz befragt, spricht von seiner Vorliebe für Puzzles und Verwirrspiele, NDiaye fängt immer bei Formüberlegung (mal lange Sätze, mal nur ein einziger Satz) an, Djian immer bei Drogen, Frauen und Rock. Auf die Frage nach dem Verhältnis von Imanigation/Realität/Simulation wird uns mitgeteilt, Flaubert habe im letzten Jahrhundert gelebt; nach dem Verhältnis heutiger Schriftsteller zu Sartre befragt: Er sei schon eine gewisse Zeit tot. Zum Roman „noveau roman“: man habe sich von dem Akademismus befreit. Solche Einblicke ins Mysterium Werk liefert uns die Diskussion des dritten Tages. Dabei hatte sie sich am Vortag noch auf den Höhen von „hic Auschwitz hic salta“ (Bondy) bewegt. Diese Wie-hälst-du's -mit-der-Geschichte-Frage wurde schnell als nicht fragbar verworfen: Francis Bondy zitierte Gombrowicz, der gesagt habe, man solle in die Literatur nur hineinbringen, was auch reinginge in sie. Und wie zum Beweis führt er NDiayes Stilübungen vor: Der Held ihres ersten Romans, Quant au riche avenir, sagt, eigentlich gingen ja schreckliche Dinge vor in der Welt, aber am meisten berühre ihn doch die Tatsache, daß seine Nachbarn sich scheiden ließen, wo er doch gewohnt sei, sie immer zu zweit zu sehen. Hier liege doch das ehrliche Bekenntnis eines Autors vor.

Was die Autoren über sich nicht wissen, wissen die Literaturkritiker für sie: die Tatsache, daß dem „autre roman“ im Gegensatz zum „nouveau roman“ eine Programmatik fehlt, ist für Jean-Pierre Salgas ('Magazin litteraire‘) seine eigentliche Schwäche, weil er deswegen keine Fernwirkung erzielt, während fürMarianne Alphant ('Libebration‘) darin gerade seine Stärke liegt, da er ja bewußt „ignorant, innocent, immature“ ist, Kennzeichen jedes wirklichen Neuanfangs. Dieser dreifachen Entmündigung fügte sie noch die „douceur“ als Romancharakteristikum bei. Mit ihr sei die eigenartige Magie zu erklären, die in einem von Djians Romanen von dem Spiel mit dem Vollgummiball ausgehe. „Man muß sich viel kindliche Phantasie bewahrt haben, um ein ganzes Kapitel nur mit diesem Ballspiel zu füllen.“ Neben superspringenden Bällen hatte Alphant noch jede Menge weiterer supergeschlagener Metaphern parat: Der moderne Roman sei zugleich sowas wie eine Supraleiter, wie eine Supernova und das Spazierengehen auf dem Mond. Da wird es einem dann doch zu schwebig: Francis Bon, offensichtlich von einem guten Schwerkraftgefühl gepackt, spricht von „immer schwerere Geschütze gegen sich führen“, von ständig wachsender Herausforderung, von Schmerz und Gewalt. Er sei nicht zuletzt deshalb für seinen jüngsten Roman Decors Ciment, der gerade ins Deutsche übersetzt wird, in einen Pariser Vorort gezogen, um die Gewalt hautnah zu erleben. Der Anblick eines von Entzugserscheinungen geschüttelten Drogensüchtigen habe ihn auf das erste Kapitel seines Romans gebracht. Was er dann vorliest, lohnt plötzlich das Ausharren doch: Eine Maschinengewehrprosa, ein Stück Erdbebenliteratur, Rimbaud im ausgehenden 20. Jahrhundert, ins heutige Pariser Vorstadtleben montiert. Alle seine Romane entziehen sich der „Leichtigkeit“ bereits durch ihre Schauplätze: Fabrik, Gefängnis und Großstadt. Immer bricht er den Gedächtnispanzer seiner Figuren auf, läßt sie die Mikroparanoia des Alltags daherstammeln.

Trotz vergleichbarer Themen kriegt Leslie Kaplan sowas wie „Schwerelosigkeit“ hin: kein leidendes, ergriffenes, parteinehmendes Auge wandert durch ihre Fabrik, sondern ein neutraler, gesichtsloser Kamerablick. Zu ihrer Fabrik gehören daher nicht wie bei Bon Stechuhren, U-Bahnfahrten, Minutenzählen, Zigaretten und Warten, sondern nur „Mauer, Steine, Mauer“. Irgendeine literarische Beweisführung, sei sie weltanschaulicher oder psychologischer Art, betont Kaplan, sei dem literarischen Schaffen ja geradezu entgegengesetzt. Eine gutmeinende Interpretin erkennt in Kaplans Schreiben das sukzessive Aufschließen von Räumen, auf die Fabrik folgt der Park, ein Schloß, später die Brücke von Brooklyn. Nicht umsonst betont Kaplan, daß, wie Blanchot an Kafka nachzuweisen versucht habe, gerade die Geduld die Kardinaltugend des Schriftstellers sei. So sei sie selbst, die erst ihre 68er Politerfahrungen habe verdauen müssen (Alphant spricht wieder vermittelnd vom notwendigen „retard„ „Verspätung“), erst jetzt nach mehrjährigem Schreiben endlich zum Dialog gelangt. Sie als einzig engere Fortsetzerin des nouveau roman sei so sparsam mit den Mitteln, um nicht in den herrschenden Diskurs zu verfallen.

Djian, für den Stil Sinnlichkeit ist, Echennoz, der seine Puzzles zu Krimis zusammenfügt, Benoziglio, der den Helden in chaplineske Alltagssituationen verstrickt, machen sich da drum keinen Kopf. Kaplan will in gut Durasscher Manier die Schrift ins Schweigen zurückführen, die Leere umkreisen, den Untertext transparent werden lassen, auf daß das Unbewußte in die Sprache gelange. (Dann sollte er auch wirklich sein Maul halten und nicht so tun als ob - d.S.)

Von dem einzigen anwesenden Lyrikautor, Christian Pigent, der nicht vorlesen durfte, wird mehrfach die Gleichsetzung der Literatur mit dem Roman beklagt. Wie wenig die eindeutige Gattungszuordnung sich allerdings heute noch halten läßt, demonstriert der nur für seine Lesung angereiste Valere Novarinia. In der Art eines Zeitungsjungen ruft er seine Schriftware aus: ein Rabelaissches Narrenspiel mit einem Spaziergang über einen Friedhof, der Anrufung von Toten und Tieren, die sich aus ihren Gräbern erheben in seine lautmalerische Rhythmik hinein. Die ganze Welt paßt plötzlich wieder in Zeilen. Und man beginnt zu verstehen, warum sich gerade dieser Autor dem Dialogankurbelungsversuch entzog. Und noch einer kam nicht, der mit schwerem Geschütz aufgewartet hätte: Pierre Guyotat, entfallen wegen Krankheit. Seine grausamen Kriegs- und Sexszenen hätten mit Sicherheit keinen Dialog in die Wege gebracht.

Jean-Luc Benoziglio, der am häufigsten und längsten anwesend ist, äußert gegen Ende seinen Eindruck, daß ein Vorwurf gegen die Schriftsteller im Raum hänge. Sein Eindruck hat ihn nicht getäuscht. Sie sind geladen worden, einen unterbrochenen Dialog wiederanzuknüpfen, und rutschen nur ungemütlich auf ihren Stühlen hin und her. Djian erklärt unumwunden, daß ihn die Stadt mehr interessiert. Bon liest Zeitung, NDiaye langweilt sich ganz offensichtlich, Echenoz und Benozioglio sitzen immer am Fenster, um ihre Gitanes weiterrauchen zu können. Deutschspracheige Schriftsteller sind, mit Ausnahme von Lothar Baier und Francoise Bondy, überhaupt keine da. Mit wem hätten sie reden sollen?

Vielleicht stimmt das, was anfangs diagnostiziert wurde: daß das Kulturgefälle zwischen Frankreich und Deutschland immer geringer werde und damit das Interesse am anderen zunehmend verschwinde (im Gegensatz zu Südamerika zum Beispiel). Vielleicht aber auch hätte man nur Claude Simons Roman „Invitation“ nachlesen müssen, bevor man die Nachfolgeneration des „nouveau roman“ einlädt. Darin beschreibt er eine Reise in die UdSSR, wohin er anläßlich der Verleihung des Nobelpreises eingeladen wurde. Er spricht aber vor allem von der Unerträglichkeit, sich plötzlich in einem Boot mit anderen Schriftstellern zu finden, bloß weil ein äußerer Rahmen sie zusammenführt. Eine solche Zwangsanheuerung, honorables Unterfangen zwischen Wannseespektakel, Malerei aus der DDR, Rock aus der SU und Filmen aus Georgien, kann halt schwerlich Tiefgang produzieren...

Michaela Ott

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