Text und Literaturkritik

■ Das 100. Heft der Zeitschrift 'Text und Kritik‘

„Loben und Preisen muß man Reich-Ranicki parallel dafür, wie umsichtig und genuin offizierskasinomilitärisch er, in den letzten Jahren immer straffer, seine Unterkritiker, seine Hauptscharfmacher und Wadlbeißer herangezüchtet, auf Zack gebracht hat.“ (Eckard Henscheid)

„Wenn ich hier Reich-Ranicki so viel Platz eingeräumt habe, läßt sich das nur mit einer gewissen Irritation begründen: Wie ist es möglich, daß ein literarisch so wenig anregender Kritiker, für den ich hier in seiner zeitweiligen Heimat kein Pendant mehr finden kann, in der Bundesrepublik nicht nur halten, sondern auch wortführend werden konnte.“ (Karol Sauerland)

„Denn eines ist gewiß: Reich-Ranicki war bisher ein Mann des Superlativs und des Verrisses, er gönnte oder mißgönnte höchste Weihen des Erfolges, und er hielt sich vauf seine exklusive Strenge stets etwas zugute... Es fällt aber auf, wie wenig in der wahrlich umfangreichen Diskussion über Marcel Reich-Ranicki die Rede davon ist, daß er ein guter Schriftsteller und zuerst dies ist.“ (Hugo Dittberner)

„Er sprach mit dem gleichen angeekelt nach unten verzogenen Mund... Er redete für Thomas Mann und gegen Heinrich Mann. Es war ein Lob Thomas Manns, das ich schon oft gehört hatte, und er polemisierte mit Wörtern gegen Heinrich Mann, die ich schon oft gehört hatte. Er sagte nichts Neues, sondern wiederholte, was andere vor ihm schon oft gesagt hatten. Ich dachte: Er ist tatsächlich verrückt geworden. Und schaltete den Fernseher ab.“ (Helmut Heißenbüttel)

Ein Band Über Literaturkritik kommt ohne den „Meister der Literatur- und Bescheidwissenschaft“ Marcel Reich -Ranicki nicht aus - und so kreist auch der erste Teil dieses Jubiläumsbands ausschließlich um den Frankfurter Literaturzampano, dessen „schillernde“ Persönlichkeit außer von den oben Zitierten auch in einem Goethe zugeschriebenen Vierzeiler ventiliert wird: „Etwas ist er, muß auch was scheinen/Denn immer etwas ist der Schein/Nun aber in der Allgemeinen/Wird er doch immer mehr gemein.“ Und auch dort, wo nicht konkret von Ranicki die Rede ist, im Allgemeinen, ist der Literaturchef immer anwesend. Sei es bei Jürgen Wehnerts Durchleuchtung einer Rezension von Gert Ueding („Reich Ranickis derzeit am perfektesten funktionierender Schranze“ - Henscheid) oder bei Joachim Wittkowskis Darlegung des „Falls“ Ulla Hahn, deren Lyrik der Teamchef und seine Mannen aus allen kritischen Rohren zum Markenartikel hochjubelten. Und auch wo es nicht um MRR als Phänotypen des Zirku(lation)sagenten geht erfährt man in diesem Band viel über die Funktionsweise des literarischen Gewerbes, die schlüpfrigen Liaison von Verlagen/Literaturpreisen/Bestenlisten, den ungeschriebenen Gesetzen der Großkritikerzunft ( „Schweinebande“ - Hermann Kinder) und über das Phänomen des „Longsellers“ am Beispiel von Süskinds Parfum. Das nebenstehende Metaphern-Balett, das Angelika Machinek aus Keulen der Rezensions-Artisten zusammengestellt hat, ist der eben erschienen 100. Ausgabe von 'text und kritik‘ entnommen.

Zum Jubiläumsjahr der Literaturzeitschrift sind noch zwei weitere empfehlenswerte Extras erschienen: Mit einem umfangreichen, von Heinz Ludwig Arnold herausgegebenen Sonderband soll „nicht Literaturgeschichte betrieben, sondern eine Literaturdebatte angezettelt werden“ - in Form einer Bestandsaufnahme Gegenwartsliteratur, die 26Aufsätze zur aktuellen Literatur in der Bundesrepublik, der DDR, Österreichs und der Schweiz versammelt. Im Zusammenhang mit diesen Versuchen von Bilanz und Orientierung steht der eigentliche Jubiläums-Band, der unter dem Titel In Sachen Literatur mit über 40 Aufsätzen aus 25 Jahren 'text und kritik‘ einen Blick auf die deutschsprachige Literatur des 20 Jahrhunderts bietet - von Carl Einstein bis Rolf Dieter Brinkmann, von Walter Benjamin bis Heiner Müller. Und einen Rückblick auf die Entstehung und Geschichte der Zeitschrift sowie eine Gesamt -Bibliographie.

'Text und Kritik‘, Nr.100, Über Literaturkritik

'Text und Kritik‘, Sonderband, Bestandsaufnahme Gegenwartsliteratur, 317 S., 38 DM

In Sachen Literatur - 25 Jahre 'Text und Kritik‘, zusammengestellt von Christa Jordan, 225 Seiten, 14 DM

Alle erschienen in der edition text und kritik, München 1988.