„Senator Quayle, Sie sind kein Kennedy“

Wahlkampf-Diskussion der US-Vizepräsidentschftskandidaten / Dukakis-Vizekandidat Lloyd Bentsen weist Bush-Vizekandidat Dan Quayle in seine Grenzen: Klarer Knockout für den Republikaner Quayle / „Wenn George Bush ein Problem mit Quayle hatte, so hat er es nun erst recht“  ■  Aus Washington Stefan Schaaf

George Bush und Michael Dukakis mußten am Mittwoch abend die Bühne des US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs ihren potentiellen Ersatzmännern überlassen. Jeder bekommt einmal seine fünfzehn Minuten Berühmtheit, hat Andy Warhol gesagt, und am Mittwoch abend waren der demokratische Senator Lloyd Bentsen und sein republikanischer Amtskollege Dan Quayle an der Reihe. Wer die herben öffentichen Ausrutscher des Bush -Vize-Aspiranten Quayle in den vorangegangenen Tagen verfolgt hatte, der hatte seine Erwartungen an dessen Beitrag zur Förderung des intellektuellen Niveaus der Debatte bereits gen Null geschraubt.

Ungünstige Ausgangsbedingungen also für den republikanischen Schönling Quayle, der sich gegenüber den verwitterten Gesichtszügen Lloyd Bentsens wie ein junger Schüler ausnimmt, der seinem Professor gegenübertritt. Als der 41jährige Quayle seine Erfahrung im Kongreß mit der Präsident Kennedys gleichsetzte, bügelte Bentsen ihn mit den Worten ab, er habe Kennedy gekannt und sei mit ihm befreundet gewesen - dann kam der Hieb in die Magengrube: „Senator, Sie sind kein Jack Kennedy!“ Als Quayle sich empfindlich getroffen zeigte, schob Bentsen noch nach, Quayles politische Ziele seien so weit von denen Kennedys entfernt, daß jeglicher Vergleich unangemessen sei.

Dies war der wichtigste Moment der Debatte, die sehr direkt geführt wurde und wesentlich mehr inhaltliche Argumente lieferte als der verbale Schaukampf zwischen Dukakis und Bush in der vergangenen Woche. Man debattierte über Umweltprobleme, das Haushalts- und Handelsdefizit, über die Rolle von Interessengruppen bei der Finanzierung des Wahlkampfs wie auch über außenpolitische Buhmänner von den Ayatollahs bis zu Panamas Militärchef Noriega. Immer wieder wies Bentsen dabei auf Quayles Verhalten bei wichtigen Senatsabstimmungen hin, so auf dessen Voten für die Kürzung der Altersrenten und der Pensionen für Kriegsveteranen, auf seine Voten gegen Impfprogramme für in Armut aufwachsende Kinder, gegen Umweltschutzmaßnahmen und gegen eine Entschließung, die eine kompromißlose Haltung gegenüber Noriega forderte. Auch mit dem von den Republikanern so hochgelobten wirtschaftlichen Aufschwung der Reagan-Jahre ging Bentsen ins Gericht: Wenn er „jedes Jahr einen ungedeckten 200- Milliarden-Dollar-Scheck schreiben“ dürfte, würde es auch ihm gelingen, ein Gefühl des Wohlstands zu erzeugen. Jeder amerikanische Bürger, ob Mann, Frau oder Kind, sei durch die Reagansche Haushaltspolitik allein im letzten Jahr mit mehr als 650 Dollar belastet worden.

Bentsen wurde dagegen nach seinen politischen Differenzen mit Mike Dukakis in der Rüstungs- und Zentralamerikapolitik gefragt, denn Bentsen hat sich für die MX-Rakete, das SDI -Programm und Militärhilfe für die Contras ausgesprochen und unterstützt im Gegensatz zu Dukakis auch die Todesstrafe. Seine Einladung an Lobbyisten, für eine Spende von 10.000 Dollar einmal im Monat mit ihm frühstücken zu dürfen, nannte er einen „dummen Fehler“.

Den nachhaltigsten negativen Eindruck hinterließ aber Quayle, als er die Frage nach den ersten Maßnahmen zu beantworten versuchte, die ein Präsident Quayle im Fall eines plötzlichen Tods von George Bush ergreifen würde. „Ich würde ein Gebet sprechen und dann das Kabinett zusammenrufen“, meinte er und wurde auch bei mehrmaligem Nachfragen nicht sonderlich präziser, sondern verwies nur auf seine achtjährige Erfahrung im Senat.

Wer hat die Debatte „gewonnen“? Eine Gruppe von Fernsehzuschauern, die anschließend befragt wurde, schlug sich komplett auf Bentsens Seite, auch unabhängige Kommentatoren gaben dem demokratischen Vize-Kandidaten einen Vorsprung. Quayles Vorstellung sei „dürftig“ gewesen, urteilte der Politologe William Schneider vom konservativen „American Enterprise Institute“, einen „klaren Knockout“ meinte Bentsens demokratischer Senatskollege Al Gore erlebt zu haben. Mike Dukakis‘ ehemaliger Konkurrent Richard Gephardt meinte: „Wenn George Bush bis heute schon ein Problem mit Quayle hatte, so hat er es nun erst recht.“ Erste Meinungsumfragen in der Nacht gaben ihm Recht