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Der Scheiße auf der Spur

■ Begegnung mit einem Zwangsräumer, der Hausbesetzer war

Nach dem dritten Bier wird Winfried K.* aus Moabit gesprächig. „Was ich tagtäglich zu Gesicht kriege, haut den stärksten Mann um. Ich komme oft in Wohnungen, die man nur mit Handschuhen, Gasmaske und Gummistiefeln betreten kann.“ Aus seiner Zeit als Hausbesetzer ist er einiges an Dreck und Siff gewohnt, aber gegen die Schmutzlöcher wirken selbst die letzten Punkhäuser noch steril.

„Stell Dir vor - Zimmer, die fast bis zur Decke mit leeren Konservendosen angefüllt sind, Badewannen voller verschimmelter Wäsche, mit Scheiße beschmierte französische Luxusbetten, Küchenherde, die man vorm Abtransport erst abschaben muß, damit sie einem nicht aus der Hand gleiten, halbzertrümmerte Wohnzimmerschränke und vollgepißte Teppiche mit Brandfleckenmuster... Das hältste im Kopf nicht aus.“ Nach diesem Horror-Szenario ist die nächste Schultheiss -Runde fällig.

Winfried K. arbeitet bei einer privaten Räumungsfirma, die im Auftrag des Amtsgerichts Wohnungen räumt, weil deren BewohnerInnen mehrere Monate mit der Miete im Rückstand sind. Die Zwangsräumung ist eine juristische Maßnahme, die auf Anregung des Gerichtsvollziehers angeordnet wird. Ob sie tatsächlich durchgeführt wird, entscheidet sich manchmal erst vor Ort, je nach Zustand der Wohnung.

Mitunter sind es junge Frauen mit kleinen Kindern, die von ihrem Mann verlassen in desolater psychischer Verfassung in den Wohnungen angetroffen werden. Ist der Zustand der Wohnung einigermaßen gepflegt, übernimmt das Sozialamt die Miete und die Räumung unterbleibt; ist sie hingegen verwahrlost, wird geräumt - und die Kinder kommen ins Heim.

„Das Schlimme ist, daß du da nur das Ergebnis siehst - und nicht die Geschichte.“ Nachforschungen bei Nachbarn verlaufen fast immer im Sande. Die Verhältnisse in den Häusern sind anonym, und die Betroffenen verstärken aus Angst vorm Entdecktwerden die Mauer des Schweigens. Sozialer Kontakt im Haus wird vermieden, die Wohnung wird tagsüber nur noch zum Einkaufen und nachts zum Saufen verlassen.

„Die trauen sich oft nicht mal mehr, zum Mülleimer zu gehen, aus Angst, einen Nachbarn zu treffen“, vermutet Winfried K. Viele der Zwangsgeräumten sind alleinstehende Männer - davon nicht wenige mit Abitur und Studium. „Einmal habe ich sogar eine Doktorurkunde aus dem Müll gefischt“, erzählt Winfried K. Oft schaffen die Leute es noch, in ihrem Outfit halbwegs den Anstand zu wahren. „Mich hat oft verwundert, wie normal die Leute aussehen, die in so verwarzten Wohnungen leben.“

Früher hat Winfried K. bei einer Entrümpelungsfirma gearbeitet. Das war weniger belastend für ihn, weil die Leute da schon aus den Wohnungen raus waren und er häufig nur noch verwertbaren Trödel abtransportieren mußte. Warum er als Ex-Besetzer überhaupt so eine Arbeit mache, will ich wissen. „Erstens bringt es nicht schlecht Kohle, und zweitens such‘ ich das Abenteuer. Später geh‘ ich vielleicht mal zur Fremdenlegion.“

Ein paar Tage später rufe ich ihn an, um noch ein paar Details zu erfragen. Winfried K. gibt sich zugeknöpft. „Mein Chef hat mir verboten, weiter über die Sache zu sprechen. Das unterliegt dem Datenschutz.“ Bei welcher Firma er denn arbeite? No comment. Nur ein kleiner Hinweis: „Bei uns in der Firma saufen alle Bols. Ohne Alk ist der Job nicht zu schaffen.“ Daß ich was über unser nächtliches Gespräch veröffentlichen will, ist ihm sichtlich peinlich. „Wenn Du meine Identität preisgibst, schick‘ ich Dir'n Rollkommando ins Haus.“

Ulf Mailänder

* Name geändert

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