IWF-NACHWEHEN

■ Wenn das Widerstand ist, kann ich auch drauf peifen

„Der Staat ist ein zu ernstes Ding, um zu einer Harlekinade gemacht zu werden. Man könnte vielleicht ein Schiff voll Narren eine gute Weile vor dem Winde treiben lassen, aber seinem Schicksal trieb es entgegen eben darum, weil die Narren dies nicht glaubten. Dieses Schicksal ist die Revolution, die uns bevorsteht.“ (Marx-Engels-Werke, 1, S. 338)

Dem IWF folgten die Lesbenwoche, der Berlin-Marathon, eine Schlägerei zwischen Antifa-Autonomen und Nazi-Skins vor dem Quartier Latin, sowie der Vorlesungsbeginn an der FU. Professor Kewenig, einst ein mit Eiern und Mehl beworfener Clown, hat uns seinen autoritären Staat demonstriert. Wem „uns“? Der Szene? Kreuzberg? Den autonomen Gruppen? Den linken Medien?

Oranienstraßen

Existenzialismus

Westberlin mag gezittert haben, aber für meine Straße hat der IWF weder getagt, noch wurde dies verhindert. Es gab kein Herbstmassaker. Der Widerstand zog es vor, in der City bei Rot über die Ampel zu gehen, sich auf den Kudamm zu setzen und den Bullen ein herzhaftes „Haut ab“ zuzurufen, um darob von ihnen verprügelt zu werden. Als Spitze des Widerstands läßt sich derweil die internationale Journaille feiern, sehr selbstreflexiv ihr eigenes Verhauenwordensein verbreitend. Ethisch-moralisch gab sich die progressive Minderheit unserer selbständigen politischen Einheit wieder mal selber recht: Es ist immer besser, zu den Unterdrückten zu gehören als zu den Unterdrückern. Und während dessen in meiner Straße? Max-und-Moritz-Imbiß hatte sich wieder präventiv vergittert, aber es war den Sprühlack nicht wert. „Unterdrückung wird gemacht - Befreiung auch“, hieß es auf dem Transparent, und schräg darüber hing das größte, was das Haus je gesehen hat: Ih Weh Eff. Nun schlabbern die Fetzen im Wind. Das Interesse war gewiß nicht geheuchelter als sonst, die Funktion offensichtlich: Mag sich hinter dieser Fassade noch soviel Dumpfheit und Ekel verbergen, sobald die längst verdrängte Politik zum gesellschaftlichen Ereignis wird, muß darauf reagiert werden, und sei es, indem am letzten Tag ein Bettlaken aus dem Fenster gehängt wird.

Die reale Dialektik von Macht und Ohnmacht mag getrost per Media verfolgt werden, voran mit Radio 100. Der Rest sind Party-Geschichten, in denen Soziologie-Doktoren in Wannen gefoltert werden, die Kinder bekannter Berliner Autonomer den Polizeipräsidenten bespucken, Genossen mit dem Kopf immer wieder aufs Pflaster geklatscht oder auf Wachen gewaltsam entkleidet werden. Ein Betroffener: „Wenn das Widerstand ist, kann ich auch drauf pfeifen.“

Der hohe anti-patriarchale Blutzoll des Palästinener-Feudel -Blocks, die Staatsschutzlesbe, die Urlaubsheimkehrer und der sog. Autonome, ein linksradikaler Milchladen, ein wöchentliches Berlin-Info... Doch auch im Klatsch und Tratsch auf der Straße und in den Cafes ist der IWF als Tagesthema abgelöst. So kann sich die Szene wieder ihrem liebsten Thema zuwenden, dem Männlein-Weiblein-Verhältnis. Neueste Erkenntnisse einer Männerkiezküche: Wenn Du mit jemandem schläfst, ohne ihn zu lieben, dann ist das Vergewaltigung. Auch Frauen als Täter? Männer gibt's bald jedenfalls nicht mehr, nur noch Heteros, Schwule und Nifis (Nichtficker).

Karsten Dose