: Die Spielplätze der Männer
■ Ein Streifzug durch die Pornokinos: In der City, in der Vorstadt, im Kiez
Im adretten Kittel, die Arme über den Bauch gekreuzt, steht Ewald zwinkernden Auges da und macht sich sein Vergnügen: „Warum wird in der Türkei so wenig Klopapier benutzt? Weil die meisten Arschlöcher hier sind.“ Der dumme 'Witz‘ gefällt ihm, einig mit sich, daß jeder andere auch darüber lachen muß. Ewald ist 75, hat einen Sohn und zwei Töchter und ist Putzmann. Mit Schrubber, Feudel und gelbem Plastikeimer sorgt er für Sauberkeit im „Sex-Center“. Sein Dienst geht heute bis weit nach Mitternacht, und Ausländer, allen voran türkische Männer, sind die Gäste der kleinen Videokabinen, die Ewald nach jeder Benutzung wieder blitzblank herrichtet. Papiertücher werden aufgesammelt und Spermaspritzer von Wand und Boden gewischt. „Bei mir kannste vom Boden essen“, der Alte ist stolz auf seine Arbeit. Die Kunden interessieren ihn wenig, hin und wieder schnorrt er eine Mark für einen Becher Kaffee aus dem Automaten.
Das „Sex-Center“ liegt in der Innenstadt, hat geöffnet bis 3 Uhr in der Früh, ist ausgestattet mit 17 Videokabinen, einem Geldwechsler hinter Glas und Ewald. 16 Pornofilme sind in Sperrholzbutzen auf Knopfdruck abrufbar, eine Zeiteinheit für eine Mark. Vor allem amerikanische Ware ist im Programm, Designer-Pornos mit langer Spielfilmhandlung. Die sind gut für das Geschäft, da braucht es viele Markstücke, um zum Eigentlichen zu kommen im schnellen Zeittakt. 23, 22, 21 ... das Digitalzählwerk am Münzautomaten blinkt auf, bei 1 muß spätestens die nächste Mark gefallen sein.
Nur einen kurzen Fußweg vom „Sex-Center“ entfernt liegt der „Sex-Shop“. Hier ist bis 4 Uhr geöffnet und alles viel lauter als bei der Konkurrenz. Der Geldwechsler, auch hier hinter Glas, preist stimmgewaltig über Mikrophon Frauen an, die man sich für einen Aufpreis in eine Solo-Kabine bestellen kann. Auszuwählen sind die numerierten Frauenkörper aus den bunten Polaroid-Aufnahmen, die im Glasrahmen an der Wand hängen. Die Solo-Kabine erinnert an den Besucherraum im Knast, die eine halbe Körpergröße hohe Wand aus Plexiglas trennt den schwarzen Skai-Sessel der Frau vom harten Wartezimmerstuhl des Münzkunden. Rotes Licht schmeichelt der Atmosphäre, in der Ecke stehen Aschenbecher und Abfalleimer.
Aber das Geschäft wird mit den Filmkabinen gemacht. Viele der Trennwände zwischen den flimmernden Abteilen sind durchlöchert: ein kleines Loch für den voyeuristischen Blick, ein größeres, den Schwanz durchzuschieben, oder ganz große für die ganze Hand.
Hier herrscht Hektik. Touristengruppen, die sich gröhlend für ein paar Minuten Pornos einpfeifen, oder alliierte Jungmänner auf Ausgang: Mit lauten Zoten und krachenden Lachern über die Wände hinweg wird die heilige Ruhe der stöhnenden Zelluloidakteure übertönt. Nervöse Schwule, die schlendernde Blicke auswerfen, ganz ohne Ton, mit Bewegung im Detail, eine Hand auf dem pulsierenden Schwanz im Jeans -Dreieck. Souveräne Strichjungen, die die Gänge einnehmen mit genauen Blicken und gezielten Schritten: „Can I earn some money by you?“ Der Putzmann hier ist ein Schwarzer. Mit stoischer Gelassenheit verrichtet er seine Arbeit. Nur wenn zwei Männer versuchen, in einer Kabine zu verschwinden, greift er ein. Das Geld macht hier die Moral. Das Doppelvergnügen zum Solopreis läuft nicht, und Homosxuealität findet statt im Verkehr durch Löcher, die man angelegentlich übersieht.
Das Kino war ein Kino früher, in der Vorstadt. Mit Kassenhäuschen, breiter Treppe fürs Entree, Vorraum für die Garderobe, und im Saal ein Boden, der sich zur Großleinwand hin nach unten bewegt. Heute laufen hier Filme „Non Stop“ und mit „Damenbegleitung“. Der Eingang ist neu hergerichtet, bayerische Motive auf einer Rummelplatzdekoration. Bezahlt wird im Vorraum. Bei der freundlichen Frau mit Strickzeug im Schoß und glucksender Kaffeemaschine hinter sich, neben den umgestülpten Wassergläsern auf dem gewürfelten Geschirrtuch. Sie hantiert hinter der Hausbar mit Zurufen und einem beständigen Lachen. Mit unbearbeitetem Holz ist die Theke verkleidet, ganz rustikaler Affront zu der bordeauxroten Stoffbespannung der Wand.
Vereinzelt sitzen einige wenige Männer auf den Barhockern. Einer von ihnen kommt aus Vietnam, sein Deutsch ist schmal, seit sieben Monaten sei er in der Stadt. Der dunkle Anzug und die gestreifte Krawatte signalisieren die Ausgehstimmung. Er zeigt kein asiatisches Lächeln, sein Reden ist knapp, immer wieder starrt er nach unten, auf seine Hände, auf den Boden. Später im Kinosaal wird er in einer Ecke sitzen, alleine, der Blick weiterhin nach unten, vor sich auf dem Tisch eine Flasche Mineralwasser.
Die Bestuhlung ist aus dem Saal entfernt, der große Raum ist unterteilt in Nischen und Separees. Die Trennwände sind mannskörperhoch, umschließen mal einen Tisch mit Sitzgelegenheiten für vier, mal für zwei, mal für sechs und mehr. Zur Leinwand hin sind alle Abteile offen. Licht ist genug im Saal, der Film ist Beiwerk non stop, kaum einer schaut hin. Ab und zu bewegt sich eine Frau durch die Gänge, nimmt Platz an den Tischen der neu Hinzugekommenen. „Bezahlst du mir einen Kaffee?“ Ihr Preis sei korrekt, für zwanzig Mark ließe sich schon was machen. „Du glaubst gar nicht, wie viele das hier so mögen. Ob da jemand zuguckt, stört die nicht. Im Gegenteil.“ Ihre Kundschaft sei bunt gemischt, ganz junge ganz aufgeregt, Arbeiter in der Mittagspause, Rentner mit Langeweile.
Das muß eine Ladenwohnung gewesen sein, mitten im „Kiez“, liebevolle Umschreibung für die Zonen, in denen das Dorf in die Stadt kommt. Über der Eingangstür blinkt es unermüdlich bunt, im vorderen Raum stehen Videoboxen, Regale mit Magazinen, ein Getränkeautomat. Der Kassierer betätigt den Summer für die Tür, die in die hinteren Räume führt. Notdürftig ist hier alles in Eile für das dunkle Vergnügen hergerichtet. Im vorderen, dem größeren Raum, stehen ein paar Kinositzreihen, durchgewetzter Cord mit kaputten Klappscharnieren. Die Videoleinwand ist beträchtlich, die Fenster dahinter sind dichtgemacht mit schwarzer Farbe. Ein Raum weiter ist alles kleiner, ein Monitor, ein paar Stühle aus dem gleichen Fundus wie nebenan, eine Spüle mit Wasserhahn ohne Sinn.
Die Filme sind erstaunlich abstoßend. Frauen prügeln einander in englischen Arbeiterwohnungen, ohne Unterlaß und mit schreiender Langeweile. Zwischendurch rutscht ein Ami -Film dazwischen, GIs in Vietcong-Haft und metzelnde Befreiungsaktionen. Dann wieder schlagende Frauen, diesmal auf Weidekoppeln oder in schlammigen Feldgräben. Der Kriegsfilm kommt ohne Frauen aus, die Flagellantinnen sind unter sich.
Das Publikum nimmt alles hin. Die Ruhe in beiden Räumen ist geladen mit Mißachtung der Anwesenheit der anderen. Vergleichsweise voll ist es, Samstagnacht nach 2, geöffnet ist bis 5. Sobald sich das Auge an die bunt flimmernde Dunkelheit gewöhnt hat, sind die Gesichter alle vertraut. In der ersten Reihe sitzt einer, der mit beiden Händen sein Gesicht abschirmt nach allen Seiten. Als er aufsteht und sich eilig dem Ausgang zuwendet, sieht man kurz den Kopf, den man aus der Tagesschau kennt und von den Litfaßsäulen. Beisammen, die Beine über die Vordersitze geworfen, sitzt eine Gruppe junger Männer, bewaffnet mit Sechser-Packs und den wilden Gesichtern, die man auf Demonstrationen sieht. Dazwischen Vereinzelte, die aussehen wie die Kollegen aus den Alternativbetrieben oder die Besucher an den Wohngemeinschaftstischen.
Auch nicht, wenn wieder der Summer ertönt und ein neuer Besucher kommt, reckt sich ein Kopf nach hinten. Alle Blicke sind auf die Leinwand gerichtet. Und nichts ist abzulesen von den Gesichtern.
Elmar Kraushaar
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