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WER WILL WEDDINGER WERDEN?

■ 25 Jahre Stadterneuerung für Menschen im Wedding

Stadterneuerung für Menschen“ heißt es im Titel der Ausstellung und in dem dazugehörigen Text-Bildband, die im Auftrag des Bezirks Wedding vom Institut für Stadtforschung und einer Werbeagentur erstellt worden sind. Das ist natürlich positiv gemeint und paßt gerade recht in den beginnenden Wahlkampf um die ungebrochene sozialdemokratische Herrschaft im Wedding.

Es lohnt sich genau hinzuhören. Für Menschen also. Aber welche Menschen? Vielleicht hat hier das Unbewußte den Machern die Feder geführt. Menschen, das sind zum einen die sogenannten Betroffenen, und das kann man in der zwiefachen Bedeutung des Wortes verstehen. Aber es gibt auch Menschen, die haben in ganz anderer Weise von der Stadterneuerung profitiert. 25 Jahre Stadterneuerung sind auch 25 Jahre Häuserkampf zwischen den Menschen, die einfach eine angemessene Wohnung behausen und sich in ihren Stadtteil wohlfühlen wollten, und den Menschen, die ihnen vorschreiben wollten, wie das auszusehen habe. Auf der einen Seite steht der Weddinger, der Berliner schlechthin, geprägt durch seine besondere Umwelt, den Kiez, der ihn bis in seinen Charakter geprägt hat, und auf der anderen Seite der Architekt und Stadtplaner, der Bürokrat und der Akademiker, die Schreibtisch- und die Reißbrett-Täter, denen das alles fremd war, unhygienisch, veraltet, unmodern, zu verdichtet, eben das „Milieu von Alter, Armut und Unbildung“, und die deshalb tabula rasa machen wollten. In ihrer Folge die Sanierungsgewinnler, die hier ihre Geschäfte machen konnten, die sogenannten Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften.

Grund, etwas zu tun, gab es genug. Der Wedding war mit seinem Mietskasernenelend verschrien. Das bedeutete überbelegte, kleine Wohnungen ohne „Licht, Luft und Sonne“, dafür mit Außentoilette, die im Winter einfriert. So etwas sollte in einer demokratischen Nachkriegsgesellschaft keinem mehr zugemutet werden. Beschlossen wurde die planmäßige Vernichtung dessen, was der Bombenkrieg noch übriggelassen hatte, immerhin rund Zweidrittel der Altbausubstanz. Das Areal rechts und links der Brunnenstraße, ein Gebiet mit der Bevölkerung einer mittleren Kleinstadt, sollte fallen. Bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit witterten die Utopisten die „Chance der Zerstörung“. Dabei verbanden sich die rigorosen Planungen der Speerschen Achsen und Autobahnringe auf das Vortrefflichste mit den Ideen der Charta von Athen, die auf einem internationalen Architektenkongreß 1933 aufgestellt wurde. Darin wird die Trennung der vier Funktionen propagiert: wohnen, arbeiten, sich erholen und sich bewegen, also der Verkehr. Gedacht war eine Sanierung als Totaloperation. Auf das gewachsene soziale Geflecht im Kiez wurde dabei keine Rücksicht genommen. Der Bau der Mauer verschärfte die Lage noch und machte das Gebiet um die Brunnenstraße zum Sack, nach drei Seiten war plötzlich Osten geworden. Der Wedding mit seiner ohnehin schlechten Bausubstanz verkam jetzt erst recht. Die Hausbesitzer ließen ihren Besitzstand wegen mangelnder Rendite verwahrlosen.

1963 war es dann soweit. Der Regierende Bürgermeister Willy Brandt verkündete das Erste Stadterneuerungsprogramm zur Schaffung eines „intakten Stadtbildes als Abbild einer intakten Gesellschaft“. Der Wedding war als größtes zusammenhängendes Sanierungsgebiet in Europa zum Sanierungslabor geworden.

Der Katalog gibt zur Vorgeschichte der Sanierung Ilse Balg das Wort. Die 1907 geborene Sozialwissenschaftlerin war zuletzt Honorarprofessorin für Stadtentwicklung und Stadtforschung und maßgeblich an der Erarbeitung der Zielvorgaben der Weddinger Stadterneuerung beteiligt. In ihrem Beitrag wird deutlich, daß die ursprünglichen Ideen des damaligen Stadtrats Nicklitz aus den fünfziger Jahren für eine behutsamere Sanierung im Berliner Senat ignoriert worden sind.

Die Ausstellung selbst wird an historischem Ort gezeigt, dem ehemaligen rot-weißen Beratungspavillon in der Stralsunder Straße. Die DeGeWo-Schachtel war auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung um die Sanierung Ziel eines Anschlags. Eine Brandstiftung wurde 1978 den Revolutionären Zellen angelastet.

Die Präsentation der 25 Jahre Stadterneuerung in diesen Räumen ist unter dem Einfluß der Werbeagentur mit dem hochtrabenden Titel 'Gesellschaft für Kommunikation‘ in Ästhetik und Intention zu einem Messeverkaufsstand des Projekts „Schöner Wohnen“ im Wedding verkommen. Auf drei Zeitschienen wird eine Zoomfahrt von der Totale bis zum Detail, von der Luftaufnahme bis zur einzelnen Wohnung unternommen. Leider ist man dabei auf das plumpe Konzept des Vorher/Nachher verfallen. Die sechziger und siebziger Jahre sind durch Schwarz-weiß-Fotos sachlich dokumentiert, während der Jetztzustand durch farbiges Material in schönster Werbeprospektmanier glänzt. Die restlichen Erläuterungen beschränken sich auf ein Minimum und widersprechen zum Teil sogar im Tenor denen des begleitenden Katalogs, so in der Beurteilung des von Kleihues projektierten Blocks südlich am Vinetaplatz. Ansätze von Architektur, sowohl im Material (Ziegel) wie auch in den Dimensionen, die den Kontakt zum Außenraum der Straße wahren.

Eine kritische Analyse der Ereignisse während der Sanierung, der Exodus der Bewohner oder eine Aufarbeitung der als gescheitert anzusehenden frühen Konzepte der Flächensanierung ist in dieser Ausstellungspräsentation ausgeschlossen und wohl gar nicht beabsichtigt, denkt man an den Auftraggeber, das Bezirksamt Wedding.

Da muß man sich schon an den Katalog halten, der recht detailliert über die drei Phasen der Sanierung berichtet. Die ersten Entwürfe eines Ideenwettbewerbes aus den frühen sechziger Jahren zu dem betreffenden Gebiet zeigen bei fast allen Architekten aufgelockerte Hochhausbebauung für eine Bevölkerung von etwa 25.000 bis 40.000 Menschen. Einzig der Gewinner, der Berliner Professor Fritz Eggeling von der TU, behielt in seinem Entwurf das alte Straßenraster bei. Bei dem nun folgenden Abriß der alten Blöcke mußten die Bewohner weichen. Der „Umsetzer“ von der DeGeWo, die das Gros der Sanierung bewerkstelligte, ging um und bot Ersatz im Märkischen Viertel oder in der Gropiusstadt. Für die meisten alten Mieter gab es keine andere Wahl.

Der Wedding an der Brunnenstraße wandelte sich bis in die siebziger Jahre hinein in eine „innerstädtische Trabantenstadt“. Die offensichtlichen Fehler und Mißstände dieser Beton-„Kultur“ führten noch im gleichen Jahrzehnt zur Stgnation und zum Umdenken. Stuck und Mietskaserne wurden plötzlich wieder nostalgisch aufgewertet.

Mit dem Zweiten Stadterneuerungsprogramm 1979 versuchte man, aus den Fehlern zu lernen. Das neue Zauberwort hieß „behutsame Stadterneuerung“, die zu einer „Revitalisierung“ verfallener Stadtteile führen sollte. Statt Kahlschlagsanierung nun Instandsetzung und Modernisierung der gleichen Häuser, die 20 Jahre zuvor noch als überaltert abgerissen werden sollten. Die letzten Reste des alten Wedding im Sanierungsgebiet, beispielsweise die Ramlerstraße, blieben so erhalten, für ein „Sozialhistorisches Denkmal von hohem Rang“, drei guterhaltene Wohnhäuser der „Versöhnungs-Privatstraße“ des „Vaterländischen Bauvereins“ war es bereits zu spät.

Mit Betroffenenbeteiligungs- und Selbsthilfemodellen war man in der Folge bemüht, mehr Demokratie zu wagen und den Sanierungsprozeß transparenter zu machen. Auch die alten Gewerbebauten, so zum Teil die der AEG, konnten durch Umnutzung erhalten werden, gleichwohl mußte man bei den Neubauwünschen von Nixdorf zurückstecken, Infrastrukturmaßnahmen gehen vor Stadtbildpflege. Die Konzentration von High-Tech durch Nixdorf, sowie die Erfolge des BIG (Berliner Innovations- und Gründerzentrum) und des TIP (Technologie- und Innovationspark) auf ehemaligem AEG -Gelände führten sogar zu dem Schlagwort „Silicon-Wedding“. Unternehmungen wie diese, die sogenannte Weddinger Mischung, lassen einen leise an die Zukunft dieses bisher arg gebeutelten Stadtteils hoffen. Schließlich ist eine innovative und florierende Wirtschaft die Basis einer jeden wirklichen Metropole. Das jüngste Beispiel einer planungsbürokratischen Modearchitektur wie dem Neuen Weddinghof an der Pankstraße ist in diesem Zusammenhang ein Rückfall. Dem Wedding ist mit postmodernen Blendfassaden und theatralischen Entrees zum Müllsammelplatz nicht geholfen.

Erfolg und Mißerfolg aber werden, wie es im Katalog heißt, nicht zuletzt die nachfolgenden Generationen beurteilen. Wer will in den Wedding ziehen?

Roland Berg

Ausstellung im DeGeWo-Pavillon, Brunnenstraße/Ecke Stralsunder Straße, täglich 10-18, Do 10-10 Uhr, U-Bahnhof Voltastraße, Bus 90, 64. Anmeldung für Gruppen: 457-57 61.

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