piwik no script img

Gelungene Therapie gegen „Aidsfieber“

■ Theaterwerkstatt Hannover gastierte mit „Aidsfieber“ im von SchülerInnen vollbesetzten Modernen / Mit Kondom „London-GTI“ / Drei Stunden unterhaltsam und aufklärerisch

„Wir sind fünf, aber stark wie zehn.“ Fünf, eigentlich sechs Typen im grellen Outfit, von der Punkerin Skip mit leicht anzüglich-angestaubten Sprüchen vorgestellt. Dazu ein Anfang wie aus der Bastelanleitung 'Wir machen selbst ein Stück‘: „He, Leute, kommt mal her, wir wollen anfangen“ - es konnte schon leichtes Gruseln aufkommen beim Einstieg der Gruppe in ihre Produktion „Aidsfieber“. Gut gemeint und schon daneben.

Doch als es dann richtig losging, ging es richtig los: Fast drei Stunden gelang es der Gruppe,

den mit 15-17jährigen Schülern voll besetzten Saal zu fesseln mit einer szenischen Collage, inspiriert von Brecht wie dem Living-Theatre, die das Kunststück fertigbrachte, sich von Fetenklamauk ebenso fernzuhalten wie von moralischem Zeigefinger-Geschwenke. Ihre Botschaft: Laßt Euch von Aids nicht den Spaß verderben. Aber seid vorsichtig, vor allem denen gegenüber, für die Aids ein willkommener, ja bestellter Anlaß ist, Unerwünschte auszugrenzen.

Das Stücks erzählt ist die Geschichte des gesellschaftlichen

Totalverweigerers Fritz, der hauptsächlich an der Erhaltung seines „schlaffen“ Zustands interessiert ist und deshalb am liebsten schläft. Als er dem Angebot einer Freundin, doch mal zu zweit zu schlafen, mit einer Einladung zum Auto -Quartett-Spielen ausweicht, ist für seine Freunde klar: Der Mann ist krank, aids-krank, deshalb die Zurückweisung, wie rücksichtsvoll. Und da man nicht so ist wie anderen, die ängstlich zurückweichen, wendet man sich Fritz liebevoll zu, froh, selbst nicht betroffen zu sein: Seine Wohnung wird ständig geputzt und aufgeräumt, aids-alive-Partys gefeiert es ging Fritz noch nie so gut. Als er seinen Freunden endlich klarmachen kann, daß er gar nicht infiziert ist, verlassen sie ihn enttäuscht. Um diese Geschichte herum gruppieren sich zahlreiche Nummern: So beispielsweise ein Virus-Angriff, wobei das Kommunikationssystem der verschiedenen Körperzellen möglicherweise nicht mit der letzten Genauigkeit, aber sicher mit größerem Lerneffekt als so manche Unterrichtseinheit „Biologie“ dargestellt wird.

Ebenso witzig-locker wurde der Gebrauch von Kondomen vorgeführt, nebst der Satire auf die Eigenwerbung der Gummihersteller - „London GTI“. Gelungen auch ein Maskenspiel der klassischen Seuchen Typhus, Cholera, Syphilis und Pest, die mit Todesstatistiken konkurrieren und dennoch von ihrer modernen Variante Aids ausgestochen werden. Und schließlich wurde auch nicht die Angst und Einsamkeit dessen ausgespart, den es wirklich getroffen hat.

Dieses Stück ist ein sehr heilsames Mittel gegen die Aids -Hysterie, eins, das aufklärt und äußerst unterhaltsam ist.

Helga Kühl-Schelz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen