Inkompetenz und Kalkül

■ Dr. Waldemar Klischies, auf dem linken SPD-Flügel engagiert, ehemaliger Senatsdirektor und Richter, greift den St.-Jürgen-Ausschuß an

taz: Gibt es Filz in der SPD?

Waldemar Klischies: Ja. Filz sehe ich bei den 200.000 Marks -Jobs in der Geschäftsführung stadteigener Firmen, mit denen SPD-Politiker zuweilen versorgt werden. Aber wenn ein Senator nachfragt, ob für seinen arbeitslosen Bruder, einen gelernten Maurer,

ein Job mit BAT 7A verfügbar ist, so können sich nur bigotte Heuchler darüber das Maul zerreißen.

Eine Begünstigung ist durch den Ausschuß aber doch ans Tageslicht gekommen...

Den Zeugen werden vom Ausschuß offensichtlich falsche rechtliche Beurteilungen als Grundlage für ihre Aussagen vorgegeben. Klein und Welke halten Zeugen folgendes vor: Galla habe Planung und Gesamtleitung eines der kompliziertesten Bauvorhaben der Bundesrepublik, der Küche im Krankenhaus, einem gelernten Maurer, dem Bruder des früheren Senators Brückner, übertragen, und zwar unter Ausschaltung des zuständigen Abteilungsleiters, eines Bauingenieurs. Diese Vorhalte sind in vier Punkten falsch: Der Brückner-Bruder wurde nicht von Galla beauftragt, sondern von dem Dipl.-Ingenieur Schäfer. Er wurde nicht mit der Planung beauftragt - die war längst fertig - und ebensowenig mit der Gesamtleitung, sondern lediglich mit Hilfsaufgaben für den Dipl.-Ing. und darüber hinnaus nicht unter Ausschaltung des zuständigen Abteilungsleiter, denn dieser ist erst nach Fertigstellung der Küche von Galla ausgeschaltet worden. Gegen diese falschen Vorhalte erfolgt

-wie gewohnt - kein Widerspruch von Mitgliedern des Ausschusses.

Was bedeuten falsche Vorhalte?

Der Bundesgerichtshof hat kürzlich ein Urteil aufgehoben, weil unrichtige Vorhalte gemacht worden sind. Der Untersuchungsausschuß, Kontrolleure ohne Kontrolle, kann nicht aufgehoben werden.

Muß man einen offenkundig unfähigen Verwaltungsleiter nicht unverzüglich ablösen?

Der stellvertretende Ausschußvorsitzende Klein behauptet, die Ablösung von Galla sei ein ganz einfacher Akt, das Entbinden von der Funktion sei reines Personalermessen. Diesem juristischen Unsinn, der einem Kandidaten des ersten Staatsexamens zum Verhängnis werden würde, widerspricht weder der Vorsitzende, noch kommt aus der Runde der übrigen Ausschußmitglieder ein 'Einspruch Euer Ehren!‘. Diese Falschbeurteilung

wird Grundlage aller weiteren Befragungen und wird z.B. von der Presse - wie soll sie es auch besser wissen als der hochkarätige Ausschuß - so übernommen.

In der Ausschußarbeit ist doch erstaunlich viel herausgekommen...

Der Ausschuß unterscheidet bei seiner unprofessionellen Arbeitsweise Wesentliches nicht vom Unwesentlichen. Kein Staatsanwalt würde so vorgehen. Aber die Verführung, irgendwelche Histörchen zu ermitteln, ob Frau Galla eine Tischdecke für DM 27.- geschenkt erhalten hat und wann Galla mit seiner Frau oder mit seiner Freundin wo gewesen ist, ist groß. Der Ausschuß hat dabei in seiner Arbeit Schäden angerichtet, die er nicht beseitigt hat.

Zum Beispiel?

Der Ausschuß konstatiert bei der Vernehmung des Zeugen Tepperwien einen eklatanten Widerspruch zu der Aussage von Scherf. Sofort will der Ausschuß die Gegenüberstellung von Tepperwien mit dem Bürgermeister, der auf der Stelle unter Vorführungsandrohung geladen wird. Scherf läßt sich zu dieser Gegenüberstellungsshow nicht vorführen, sonder hält wie zugesagt - sein Referat vor eingeladenen Gästen.

Die Medien haben ihre Story: Einer hat gelogen, Scherf oder Tepperwien. Metz fordert: Scherf soll von Wedemeier aus dem Verkehr gezogen werden. Scherf prüft den angeblichen Widerspruch, stellt fest, daß der Ausschuß Papiere verwechselt, falsche Vorhaltungen gemacht hat und steht selbstverständlich zur Gegenüberstellung zur Verfügung. Jetzt entdeckt der Ausschuß auch, daß er den Überblick verloren hatte. Er verliert das Interesse an der Gegenüberstellung.

Das, was rechtlich gefordert ist, nämlich die sofortige Beseitigung der angerichteten Folgen durch Eingestehen des Irrtums und Rücknahme der Mißbilligung von Scherf, unterbleibt.

Wie erklären Sie sich diese Verhaltensweise der Ausschußmitglieder?

Bei einigen Inkompetenz, bei anderen politisches Kalkül, und

auch der opportunistische Wunsch von Politikern, in der Öffentlichkeit für sich das Image von überparteilichen Saubermännern zu gewinnen.

K.W.