: Bestandsaufnahme in Südtirol
Bei den Landtagswahlen am Sonntag wird sich am Vorrang der mächtigen SVP nichts ändern - wie aber schneiden die Extremisten beider Lager ab, wie ergeht es der grün-alternativen Liste? ■ Aus Bozen Alexander Langer
Zum ersten Mal seit 40 Jahren wird der große alte Mann der mächtigen Südtiroler Volkspartei (SVP) nicht mehr dabei sein, wenn die Südtiroler am Sonntag zur Wahl gehen. Silvio Magnago gibt das Steuer aus der Hand; er hat sein Lebenswerk im wesentlichen beendet.
Das Autonomiepaket für Südtirol, das sich die SVP in den sechziger Jahren erkämpfte, ist unter Dach und Fach. Allerdings bedarf es noch einer „Endfertigungserklärung“ der österreichischen Regierung, die jedoch erst dann abgegeben wird, wenn die SVP mit ihrer absoluten Mehrheit im Parlament damit einverstanden ist. Die Partei zögert diesen letzten Schritt noch hinaus, mit dem sie ihre bisherige Opferrolle aufgeben müßte und zum nüchternen politischen Partner würde.
In der Substanz hat die Autonomie der nördlichsten Provinz Italiens handfeste Ergebnisse gebracht. Die deutschsprachige Tiroler Bevölkerung (rund 300.000) ist eine „dominierende Minderheit“, die im Land an Eisack und Etsch die Mehrheit hat und weitgehend autonom bestimmen kann, was sie mit Geld und Macht anfangen will.
Die Italiener der Provinz (29 Prozent) fühlen sich inzwischen ihrerseits als Opfer, denen Autonomiebestimmungen wie Zweisprachigkeit und „ethnischer Proporz“ bei Stellenbesetzungen aufgezwungen werden und die einer tagtäglichen - offenen oder schleichenden - Ausgrenzung ausgesetzt sind. So folgten sie in den letzten Jahren immer stärker dem Beispiel ihrer deutschsprachigen Mitbürger. Der Wunsch nach einer ethnischen Sammelpartei mit nationalistischem Grundton wurde laut; es bot sich besonders die neofaschistische MSI an, die traditionell gegen „Übertreibungen“ beim Minderheitenschutz zu Felde zieht. Bei den Parlamentswahlen 1987 stimmte fast ein Drittel der italienischsprachigen Wähler Südtirols für diese Partei.
Inzwischen haben auch noch einige Dutzend Bombenanschläge die Atmosphäre vergiftet und nationale Ängste und Emotionen neu aufgepeitscht. Ihre Urheber sind unbekannt - es bekennt sich dazu „Ein Tirol“, wohinter sich ebensogut deutschnationale oder superpatriotische Extremisten, Neonazis oder auch von italienischer Seite entsandte Provokateure verstecken könnten. Einige fast allzu perfekt inszenierte Festnahmen in den Kreisen der ehemaligen „Südtirolkämpfer“ in Innsbruck sind ein erstes Ergebnis der feierlich beschworenen österreichisch-italienischen Kooperation bei der Terrorismusbekämpfung.
Neben den Attentaten hat jedoch auch der Streit innerhalb der SVP einen Schatten auf die Wahl geworfen: Soll man dem Abschluß des Autonomiestatuts zustimmen oder mit dem italienischen Zentralstaat weiter um einen Ausbau und bessere Absicherung des Erreichten rechten? Die härteren, eher volkstumskämpferischen Kreise in der „Sammelpartei“ hoffen auf Bestätigung durch die Wähler und auf eine Niederlage für den rechten „Heimatbund“.
Zwischen den ethnischen Fronten steht die grüne alternative Liste, die - von Wahl zu Wahl mit neuer Listenbezeichnung nun seit 1978 für eine Kultur des Zusammenlebens, für Mehrsprachigkeit und Entkrampfung eintritt und deshalb als einzige Liste tatsächlich in allen Sprachgruppen verankert ist (rund fünf Prozent). Die Verschärfung der ethnischen Spannungen und vor allem die Auswirkungen der Attentate haben ihr jedoch zugesetzt, da in allen Lagern die nationalen Töne deutlicher wurden. Aber das Bedürfnis vieler Südtiroler, endlich aus dem ständigen Streit herauszukommen, könnte der „Liste fürs andere Südtirol“ ebenso zugute kommen wie die wachsende Kritik an den Versäumnissen der SVP in der Umweltpolitik.
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