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Aufgerieben in der Bonner Mühle

■ Die Bilanz von Rita Süssmuth als Frauenministerin ist negativ / Mit ihrem Weggang auf den Stuhl der Bundestagspräsidentin kann sie das Desaster um das Beratungsgesetz hinter sich lassen

Gunhild Schöller

Komet über Kohls neuer Frauenwelt“ titelte die 'Zeit‘ euphorisch und ungewollt komisch über Rita Süssmuths knapp einjährige Amtszeit im Juni 1986. Heute, nach drei Jahren als Ministerin weggelobt ins Amt der Bundestagspräsidentin, ist man ernüchtert. Die Bilanz Rita Süssmuths als Frauenministerin ist negativ. Ihr Scheitern an der Bonner Mühle, ihre Unfähigkeit, ihre Vorstellungen in praktische Politik umzusetzen, drohte schon ihre große Popularität (nach Meinungsumfragen auf Platz zwei - direkt nach Mutter Teresa) zu gefährden. Kanzler Kohl schuf erwartungsgemäß keine „neue Frauenwelt“ und ließ Rita Süssmuth ohne Kompetenzen und Macht im Regen stehen.

Als sie im September 1985 die Nachfolge von Heiner Geißler antrat, wandte sie sich gegen alle Forderungen, Abtreibungen auf Krankenschein zu beenden, und erwog sogar die Einführung der „Pille auf Krankenschein“. Ihr erstes Interview gab sie

-erfrischend unkonventionell - der Frauenzeitschrift 'Emma‘. Alice Schwarzer war begeistert und kreierte das schreckliche „Lovely Rita“. Plötzlich sprach eine Ministerin das aus, was Feministinnen seit Jahren fordern, und versprach auch noch, ihre Vorstellungen durchzusetzen. In einem CDU-Kabinett. Das war kaum zu glauben und doch verführerisch einfach: Die Union hatte dramatische Verluste bei den Wählerinnen jüngeren und mittleren Alters, die mit Norbert Blüms „Sanfter Macht der Familie“ nicht zu gewinnen waren. Deshalb hatte Heiner Geißler Rita Süssmuth ins Kabinett geholt: mit einer modernen CDU-Politik, die den Wünschen der Frauen nach Selbständigkeit Rechnung trägt, sollte Rita Süssmuth verlorenes Terrain zurückerobern.

Sie wurde die erste Frauenministerin der Bundesrepublik. Ein Zugeständnis der christdemokratischen Altherren-Riege an die Frauenbewegung? Zweifellos, aber zu mehr war mann nicht bereit. Nach einem Jahr Tauziehen verweigerten die Kollegen Minister und ihr Kanzler Rita Süssmuth die Kompetenzen, die die Ministermacht ausmachen. Weder erhielt sie das Initiativrecht (mit dem sie frauenfreundliche Gesetzesvorhaben initiieren könnte) noch das Veto-Recht, um frauenfeindliche Gesetzesvorhaben zu stoppen. Sie erhielt nur das „Vertagungsrecht“, um frauenfeindliche Politik zu verzögern.

Stur weigerten sich ihre Kollegen im Kabinett, Kompetenzen ihrer Häuser an Rita Süssmuth abzugeben. Norbert Blüm zum Beispiel behielt sowohl die Federführung bei einem Gesetzentwurf zur Gleichbehandlung von Frauen am Arbeitsplatz als auch die Referate „Teilzeitarbeit“ und „Pflegebedürftigkeit“. Nur den „Mütterschutz“ gab er generös ab - ausgestattet mit einer halben Referentenstelle. Auch Justizminister Engelhard signalisierte, daß er eine Zusammenarbeit nicht wünsche. Zum Gesetzentwurf über die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe, deren Durchsetzung Rita Süssmuth sehr wichtig war, hieß es aus seinem Hause nur, dies sei Strafrecht. Und damit Sache des Justizministeriums. Frauenministerin

auf dem Papier

In der Folge steckte Rita Süssmuth, Frauenministerin nur auf dem Papier, eine Niederlage nach der anderen ein. Sie wollte - entsprechend den Richtlinien der EG - spürbare Strafen für Arbeitgeber, die Frauen benachteiligen, und eine Umkehr der Beweislast. Arbeitsminister Blüm aber ließ sich nicht überzeugen, und alles blieb beim alten.

Sie wollte, daß Frauen für die oft jahrelange Pflege an Angehörigen, zumindest Rentenansprüche erwerben. Weil Frauen für diese häusliche Pflege häufig ihre Berufstätigkeit aufgeben, sollten sie wenigstens später für dieses Engagement nicht mit einer Mini-Rente bestraft werden. Aber Blüm blieb auch in diesem Falle hart.

Ihr großes Vorhaben, die „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ zu schaffen, und sei es auch nur in ersten beispielhaften Ansätzen, erlitt Schiffbruch. Ihre Vision von einem Lebenslauf, in dem Mann und Frau Zeiten der Kindererziehung, der Voll- und der Teilzeitarbeit abwechseln können, weil sie jeweils sozial abgesichert sind, entpuppte sich als eine Seifenblase. Norbert Blüm erwies sich auch in diesem Fall als der perfekte Gegenspieler: mit ihm ist nur die „Flexibilisierung“, nicht aber die soziale Absicherung zu machen. Als Rita Süssmuth versuchte, ihre Versprechen einzuhalten, das Erziehungsgeld zu erhöhen (derzeit 600 DM monatlich) und den Erziehungsurlaub zu verlängern, scheiterte sie am Finanzminister. Diese Vorhaben waren unter Finanzierungsvorbehalt im Kabinett beschlossen und im Hause Stoltenberg nie freigegeben worden. „Die Dame ist mir lieb, aber zu teuer“, witzelte Otto Graf Lambsdorff schon nach kurzer Zeit über Rita Süssmuth. Kritik von allen Seiten

Gegen ihre Überzeugung gab sie zu Beginn der neuen Legislaturperiode 1987 dem Druck der erstarkenden „Lebensschützer“ und dem rechten Rand in der Union nach und übernahm die Federführung für das Beratungsgesetz. Ihr Versprechen im Wahlkampf, den Wortlaut des reformierten §218 nicht anzutasten, hielt sie damit nur sehr formal ein. An dieser Stelle nicht standgehalten zu haben war ihr größter politischer Fehler. Von allen Seiten hagelte es Kritik: während die Frauen, die sie unterstützt hatten, sich enttäuscht abwandten, war der Gesetzentwurf der CSU und den Lebensschutz-Fundamentalisten noch lange nicht scharf genug. In Diskussionen und Streitgesprächen um den Gesetzentwurf agierte Rita Süssmuth unbeholfen und von der Politik, die sie öffentlich vertreten sollte, wenig überzeugt. Wie alle Bonner Politiker pflegte plötzlich auch sie die hohle Phrase. Wortreich, aber inhaltsleer ließ sie sich über den Konflikt von Frauen in der Schwangerschaft aus, verlor aber kein Wort über den Konflikt mit ihren Partei-„Freunden“ südlich des Mains. Dabei war es gerade die Offenheit und Integrität ihrer Person, die sie als Politikerin so beliebt gemacht hatte.

In einem Kabinett, das nicht müde wurde, sein absolutes Desinteresse an Frauenpolitik zu demonstrieren, hatte Rita Süssmuth keine Chance. Mit ihrem Weggang auf den Stuhl der Bundestagspräsidentin läßt sie das Desaster um das noch immer nicht verabschiedete Beratungsgesetz hinter sich. Genauso wie die Niederlage um ihre Gesetzesinitiative, Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe zu stellen. Am Widerstand der Patriarchen in der eigenen Partei scheiterte dieses Projekt schon im Vorfeld. Während der Hinterbänkler Alfred Sauter (CSU) in den Medien mit der Behauptung bekannt wurde, Frauen wollten sich mit einem solchen Gesetz nur eine weitere Möglichkeit schaffen, legal (nach der kriminologischen Indikation) abzutreiben, blieb Rita Süssmuth seltsam still. Sie reagierte kaum noch auf solche Anwürfe. Rita Süssmuth war müde geworden. In der Bonner Mühle hatte sie sich verschlissen.

Jetzt findet Kanzler Kohl es „gut, daß eine Frau als Dame das Parlament repräsentiert“. Denn das können Frauen doch immer noch am besten: damenhaft sein und repräsentieren.

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