Eine Reise nach Huchting

■ Wie eine auszug, in Huchting „Spuren einer Stadtteilkultur“ zu finden und dabei der metropolitanen Blindheit begegnete

Ein Ort irgendwo. Dunkle weiche Nacht, unter den Füßen Schneematsch, darunter Aspalt oder plötzlich schmatzende Wiese, Neonstraßenleuchten spärlich , containerartige Kästen ringsum, mehr zu vermuten als zu sehen. Ein einziges Licht lockt mich in einen der Kästen, in einen warmen Raum, schwangere Frauen liegen auf Yogamatten, äugen erstaunt hoch. „Bürger - und Sozialzentrum? Pavillon? Nein, vielleicht gegenüber.“

Ich tappe weiter zwischen Containerbauten herum, kein Licht, kein Schild, erst recht kein Mensch. Wenn dies nicht der Mond ist, muß es Huchting sein, halbe Stunde mit der Linie 6, Umsteigen in den 57er-Bus, Delfter Straße aussteigen, ehemalaige Schule Ammersforter Straße, alles deutlich auf dem Stadtplan, nur die Realität undeutlich. Hinten links wieder ein Licht im Container, junge Männer drin, streichen. „Bürger-und Sozialzentrum? Wir sind die Jugendlichen von Huchting. Und das ist unser Raum hier.“ Immerhin, Glückwunsch! „Pavillon? Versuchens Sie's mal gegenüber bei den Schwerstbehinderten.“

Die Schwerstbehinderten freuen sich, die Betreuerinnen sind freundlich aber ebenfalls ratlos. Weiter. Schließlich'in einem Container der Lehrer eines Englischkurses: „Spuren einer Stadtteilkultur in Huchting“ ist im

Mütterzentrum nebenan. Dort 1.Stock ein Zimmerchen mit Papierschild „Kulturpädagogischer Dienst“. An einem Tisch drei Herren: der Kulturpädagoge, der über den Schüssel verfügt, der Referent und ein Bekannter des Referenten. Mit mir sind wir schon vier, zwei aus Huchting, zwei aus der Innenstadt . Öffentlichkeit, die entsteht, wenn das innenstädtische Literaturkontor in der Trabantenwüste einen Vortrag halten läßt und es gibt keine Freunde aus einem Huchtinger Verein, die das interessiert.

Der Referent, Ingo Mose, selber Huchtinger, zeigt die Trabantenstadt der 50er/60er Jahre als Produkt der funktionalistischen Stadtplanung, das „Neuer Urbanität“ (Häußermann/Sybel)entgegengeht: einer neuen Auspowerung zugunsten der aufgemöbelten Innenstädte. Dazwischen lag, so Mose, eine kurze Phase „kulturellen Aufbruchs“, Protests. 1980 gründete sich die „Aktion Kultur und Freizeit“, organisierte ein Stadtteilfest und einen Kulturladen, die Literaturgruppe gab „Vers & quer“ heraus, das „Huchtinger Lesebuch“ erschien. Das währte bis 1983, da fraktionierte sich das Häuflein der Kulturaktivisten, der Kulturkoordinator wurde zusammen mit sonstigen senatorialen Finanzhilfen gestrichen, und jetzt, sagt Ingo Mose, der selber damals einer der „kulturellen Aufbre

chern“ war, jetzt ist es wieder so ähnlich wie 1979/80. Ihm gegenüber sitzt Roger Ball, einer der vier KulturpädagogInnen, die neben ihrer MedienFortbildung hier ABM-finanziert kulturarbeiten. Entgegen den Hoffnungen der Projektträger sieht Roger Ball klar, daß das heißt: „Nach zwei Jahren ist hier wieder Schluß.“

Diese Art der Förderung der 'da draußen‘ von denen 'da drinnen und da oben‘ nach der Wasserhahnmethode ist so deprimierend, wie in einem „Bürger-und Sozialzentrum“ herumzuirren, wo keiner weiß, was das ist.

Dennoch, das wird durch Roger Halls Bericht deutlich, auch die Wahrnehmung von nichts als tabula rasa ist noch von metropolitaner Blindheit. Auch in Huchting gibt es noch funktionierende Restkulturen, die Sport-und Schützenvereine aus den dörflichen Teilen Mittel-und Kirchhuchtings. Es gibt wackere LehrerInnen, die sich, beunruhigt durch die Hakenkreuzschmierereien an ihren Schulen zum „Arbeitskreis gegen Neofaschismus“ zusammengeschlossen haben. Mit ihnen haben sich die KulturpädagogInnen zusammengetan , genauso wie mit Polizeisportverein und Feuerwehr und Musikgruppen und den „Huchtinger Sprayern“ und einen festen Kreis von 30 Leuten auf die Beine gebracht, der die Huchtinger Jugendkulturtage 1989 organisiert. Eine Woche lang wird da in ganz Huchting, dezentral und vielerorts Sport, Musik und Kunst praktiziert und - eventuell - mit einem gemeinsamen Fest abgeschlossen. 140 Einladungen haben die Initiatorinnen rausgeschickt, viele haben sich gemeldet daraufhin, nur von den Gewerkschaften und den Kirchen kam keine Antwort ( Ausnahme: die Bonhoeffergemeinde).

Huchting war die Reise wert. Der geruhsame metropolitane Abscheu vor den Trabanten versackt da wie der Schneematsch unter den Schuhsohlen, formt sich um in ein Bündel anderer Elemente.

Uta Stolle