: NS-Akten sollen nach Koblenz
Experten-Hearing zum Berlin Document Center fordert schnellste Übergabe von 140 Millionen NS-Akten / Nur vage Andeutungen der Amerikaner in einer „Verbalnote“ / Konsens der Sachverständigen ■ Aus Berlin Klaus Hartung
Einen überraschenden Konsens zeigte ein Sachverständigen -Hearing in Berlin zum Thema Übergabe des Berlin Document Center (BDC), das die Grünen veranlaßt hatten. Nach allen parlamentarischen Quertreibereien, bis hin zum versuchten Wortbruch der SPD, waren die geladenen Experten nicht nur einig, sondern bestätigten implizit, wie notwendig dieses Hearing war. Tenor: die Übergabe der NS-Parteiarchive (140 Millionen Aktenblätter) durch die Amerikaner muß beschleunigt werden; Übergabe-Adresse am besten das Bundesarchiv Koblenz (mit einer Dependance in Berlin), wegen der erwiesenen korrekten Anwendung des Bundesarchivgesetzes.
Die Beschleunigung ist nötig wegen der schlechten Papierqualität der Akten, die inzwischen „zerbröseln“ und wegen des „lustlosen Schlendrians“ (Historiker Götz Aly) im BDC. Einig waren sich die Gutachter, daß man nicht erst die Beendigung der Mikroverfilmung in etwa vier Jahren abwarten, sondern mit der Übergabe sofort beginnen und der US Regierung vertraglich die Mikroverfilmung zuzusichern soll. Hier gab es eine Information, die möglicherweise Konsequenzen hat: Vertreter des Außen- und Innenministeriums versicherten, daß mit Hochleistungskameras die Mikroverfilmung schon in einem Jahr abgeschlossen sein könnte. Unwillen gab es bei den Sachverständigen, weil die Verbalnote der US-Botschaft an das Auswärtige Amt - die Grundlage der Übergabe sein soll - im Wortlaut nicht bekannt war. Bei Kenntnis des Wortlautes hätte womöglich der Unwillen noch zugenommen: da wimmelt es von vagen Absichtserklärungen wie „so rasch als möglich“ oder „etwa vier Jahre“. Auch wird nur „die Bereitschaft“ zur Übergabe „zum Ausdruck gebracht“. Hier bahnt sich die Pflicht zur Neuverhandlung an.
So sehr auch die Experten, Streim aus Ludwigsburg, Aly und Rumschöttel (Verein deutscher Archivare) die Bestände des BDC in den guten Händen vom Bundesarchiv wissen wollten, so zeigte sich doch auch, daß die gesetzliche Grundlage, das Bundesarchivgesetz, keine Garantien gibt. Das Gesetz ist durch eine Reihe von „Kann„-Bestimmungen zum Interpretationsobjekt der Exekutive prädestiniert. Hier hakte als einziger der Darmstädter Verwaltungsrechtler Azzola ein. Er griff das Archivgesetz frontal an, forderte eine Rechtsverordnung, die die „Kann„-Bestimmung für die Verkürzung der Schutzfristen in eine „Muß„-Bestimmung umwandelt. Sein grundsätzliches Argument: „Wenn Yad Vashem die Lebensgeschichte der Opfer dokumentiert und erforscht, so ist es die Aufgabe der Deutschen Nation, jenes System zu dokumentieren und zu erforschen, das diese Opfer hervorgebracht hat.“ Die Deutschen schulden ihrer Vergangenheit „mehr als einen Torso“. Unterstützt wurde Azzola von Streim, der anläßlich eines Jubiläums der Zentralstelle Ludwigsburg die restriktiven Gefahren durch das Archivgesetz kritisiert hatte, und jetzt von „Repressionen“ durch das Innenministerium berichtete wegen dieser Kritik.
Auch der Bremer Datenschutzbeauftragte Büllesbach betonte, daß im Archivgesetz der Konflikt zwischen Datenschutz, bzw. Intimsphäre und öffentlich-wissenschaftlichem Informationsrecht keineswegs klar geregelt sei. Allerdings, bei der Benutzung des BDC hat es bislang keinen einzigen Fall von Verletzung der Intimsphäre gegeben.
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