: Das Lager an der E15
Wachtürme, Stacheldrahtverhau, Gefangene in gestreifter Kleidung. Mann kann sie deutlich sehen, wie sie in der Eiseskälte arbeiten, kaum hundert Meter vom Straßenrand entfernt. Direkt an der Nationalstraße 1, der Europastraße 15, zwischen Aiud und Teius, unterhalb des Trascaul-Massivs entsteht eine neue Stadt. Nicht groß soll sie werden, aber doch mehreren tausend Einwohnern ein neues Domizil bieten. Man wisse noch nicht, wie man dieses neue „agroindustrielle Zentrum“, wie Ceausescu seine neuen Betonstädte umschreiben läßt, benennen wird, aber erst einmal solle sie fertig gebaut werden, erzählen die Menschen, Bauern aus der Gegend von Aiud. Sie erzählen von ihrer Angst, den Kleinhof zu verlieren, doch über das, was sie täglich mit eigenen Augen sehen können, verlieren sie kein Wort. Ob sie es nicht schrecklich finden, wie hinter Gitterzäunen Strafgefange eingesperrt sind, wie schwerst bewaffnete Polizisten von den Wachtürmen auf die Gefangenen einbrüllen und ihre Maschinengewehre schwenken? Nein, das hätten sie mit solchen Augen noch gar nicht betrachtet, das Lager sei eben da, und daran müsse man sich gewöhnen, es sei ja schließlich nicht das einzige im Land.
Ein großer Teil des Transitverkehrs Bulgarien-Ungarn führt über diese Straße, jeder DDR-Urlauber, der ans Schwarze Meer will, kommt an dem Gefangenenlager vorbei, ab und zu können die Gefangenen die großen dänischen Lastwagen vorbeihuschen sehen, doch niemand hält an, kaum jemand wirft einen Blick durch den durchsichtigen Stacheldrahtzaun. Bis auf hundert Meter, vielleicht noch näher, kann man sich an die „Baustelle“ herannähern und sehen, wie zwischen Backsteinmauerfronten kahlgeschorene Gefangene immer neue Stockwerke errichten.
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