Riesenfirma „Arbeitsamt“

■ Auf der „Betriebsversammlung der Gekürzten“ (vgl. S. 17) erklärten sich Erwerbslose, ABM-Beschäftigte und Umschüler zum größten Unternehmen Bremens

Zum ersten Mal versammelte sich gestern Bremens „Zweiter Arbeitsmarkt“ zur „Betriebsversammlung“ (vgl. S.17). Wir dokumentieren die Rede eines der Initiatoren:

Liebe Gekürzte,

ich begrüße Euch herzlich zu un

serer Betriebsversammlung, die ich hiermit eröffne. Wir sind Angehörige des wohl größten und zugleich absonderlichsten Betriebes in Bremen, ich will ihn mal „Arbeitsamt“ nennen. Während z.B. bei Daimler lediglich 12.000 Kolleginnen und Kollegen Autos zusammenschrauben, sind in unserer Firma „Arbeitsamt“ weit über 50.000 Leute beschäftigt, das sind 20 Prozent aller Leute, die in Bremen arbeiten können und arbeiten wollen, oder - in der Sprache der Arbeitsmarktexperten - : Wir sind 20 Prozent aller „Erwerbspersonen“.

Wie in jedem anderen Betrieb gibt es auch bei uns recht unterschiedliche Abteilungen und Lohngruppen: Mit 42.000 Personen ist die Abteilung „Arbeitslose“ die größte von allen, und hier finden sich auch die krassesten Einkommensunterschiede.

Die Spanne reicht von Null bis zu 68 Prozent des letzten Nettolohns.

Über 5.000 Personen gehören der Abteilung „Fortbildung und Umschulung“ an. Die meisten sind Umschüler, die einen neuen Beruf erlernen oder sich in ihrem alten Beruf weiter qualifizieren. Hinzu kommen einige hundert Lehrer, Ausbilder, Sozialpädagogen und Verwaltungskräfte.

Eine weitere Abteilung trägt den Namen „ABM“, in der hier in Bremen ebenfalls über 5.000 Personen beschäftigt sind. Und nicht zu vergessen: die Beschäftigten des Arbeitsamtes selber, von der Arbeitsberatung, der Leistungsabteilung bis hin zum Direktor.

Die Unterschiede zwischen den einzelnen Bereichen dieses Gesamt-Unternehmens „Arbeitsamt“ sind enorm hinsichtlich Einkommen, Tätigkeit und Perspek

tive, aber eins ist uns gemeinsam: die Abhängigkeit von einem Gesetz, dem „AFG“.

Die Grenze zwischen den Abteilungen sind fließend, Versetzungen und Umsetzungen finden statt, ohne daß ein Betriebsrat auch nur Bedenken anmelden könnte. Wer heute noch auf einer ABM-Stelle tarifgerecht entlohnt wird, findet sich morgen mit 63 Prozent seines letzten Nettolohns in der Abteilung „Arbeitslose“ wieder; wer heute als Lehrer Umschüler ausbildet, kann morgen bereits seine fristgerechte Kündigung im Briefkasten finden - und ein Jahr später hat er dann selber einen Anspruch auf Umschulung.

Die sogenannte „vertikale Mobilität“ in diesem Betrieb ist beträchtlich, d.h. es geht schnell bergab und nur mit Mühe wieder bergauf...

Walter Ruffler