piwik no script img

Subversive Freßtröge

 ■  AUF-SCHLAG

Erstaunlich, daß ihn überhaupt einer haben will: den Davis Cup. Ein ausgesucht häßliches Trumm von Pokal, dessen Unterteil einer silberverzierten, umgekippten Pauke gleicht, wie sie allenfalls der Drummer einer mexikanischen Mariachi -Kapelle in den Straßen von Guadelajara benutzen würde. Obendrauf gestülpt ist eine mißratene Obstschale, die direkt aus dem Nachlaß der Madame Pompadour stammen könnte. Der einzige Vorteil des Ungetüms ist, daß es kaum abhanden kommen kann. Zum einen, weil jeder Dieb unter der Last zusammenbrechen würde, zum anderen, weil kaum jemand so verrückt ist, daß Monstrum in seinen Besitz bringen zu wollen.

Außer den Tennisspielern. Die sind ganz scharf darauf. Geht es um den Davis Cup, wandeln sich die sonst so ausgeprägten Individualisten plötzlich zu ausgesprochenen Herdentieren. Einsame Wölfe wie Boris Becker, John McEnroe oder Pat Cash werden plötzlich zahme „Mannschaftsmitglieder“, die haufenweise Teamgeister beschwören und den Patriotismus plötzlich literweise durch ihre Adern pulsieren lassen. Nur Ivan Lendl tanzt etwas aus der Reihe, aber sollte man ihm eines Tages tatsächlich seinen Herzenswunsch erfüllen und ihn zum waschechten Amerikaner befördern, wird wohl selbst er sich dazu herablassen, seine Mitstreiter fast so zu lieben wie seine Schäferhunde.

Das Publikum, besonders das deutsche und das amerikanische, spielt begeistert mit. Schwenkt eifrig Fähnchen, brüllt inbrünstig den Namen der jeweiligen Nation und wird ganz andächtig, wenn die Nationalhymnen erklingen. Kaum ein anderer sportlicher Wettbewerb ist derzeit in der Lage, dem Davis Cup das chauvinistische Wasser zu reichen. Kein Wunder, schließlich wurde der Wettbewerb im Jahre 1900 von einem gewissen Dwight Filley Davis erfunden, damals noch 21jähriger Harvard-Student, später aber Kriegsminister der Vereinigten Staaten.

Doch kaum hat sich diese Art von Tennisnationalismus zu voller Pracht entfaltet, droht ihr schon Gefahr. Subversive Kreise haben sich eingeschlichen, die über die Fahne den Freßtrog stellen; die VIPs. Nach dem Match gegen Steeb konstatierte Mats Wilander ein wenig verbittert, daß die Unterstützung nicht sehr groß gewesen sei. Die Hälfte der Leute sei ja die meiste Zeit gar nicht dagewesen.

Die Überlänge des ersten Satzes, den man sich anstandshalber ja schon ansehen sollte, stellte die gaumenfreudigen Ehrengäste in der Tat vor heftige Probleme. Ströme von Wasser liefen in den Mündern zusammen, das Füßescharren nahm zu und ein gewaltiger Seufzer der Erleichterung brandete durch die Halle, als Wilander endlich seinen ersten Satzball verwandelte. Wie bei einem Dammbruch strömte der halbvolle Saal in Windeseile Richtung VIP -Village, um erst viel später mit wohlgefüllter Wampe oder auch gar nicht wiederzukehren. Wozu gibt es denn Fernsehapparate im Ehrengastbereich?

Die „normalen“ Leute in Göteburg guckten ebenfalls in die Röhre. Karten seien kaum zu bekommen, sondern alle über „die Industrie“ vergeben worden, wird allenthalben geklagt, und die Schwarzmarktpreise von rund 200 Mark für eine Tageskarte hätten sich am ehesten wohl diejenigen leisten können, die schon drinnen waren. Aber die interessieren sich ja nicht für Tennis.

Matti

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen