: Schweden schottet sich ab
■ Schwedens einst liberale Ausländerpolitik hat an Glanz eingebüßt / Direktabweisungen an den Grenzen häufen sich / Immer weniger Flüchtlinge erhalten Asyl / Neuerdings werden auch Sowjet-Bürger zurückgeschickt
Stockholm/Berlin (taz) - Wer erst einmal drin ist in Schweden, ist gut dran. Nichts unterscheidet den von allen behördlichen Instanzen akzeptierten Ausländer formal von seinen schwedischen MitbürgerInnen. Wie sie hat er uneingeschränkten Anspruch auf Sozialhilfe, Kranken- und Arbeitslosenversicherung, Kinder- und Wohngeld. Nach fünf Jahren kann er die schwedische Staatsbürgerschaft beantragen und hat damit das Recht auf Altersrente erworben. Nach drei Jahren darf der Migrant selbst wählen und sich wählen lassen.
Die Einwanderer betreffende Gesetzgebung gilt bis heute in Europa als vorbildlich liberal. Sie stützt sich auf die vom Reichstag 1975 beschlossenen Prinzipien der schwedischen Einwanderer- und Minoritätenpolitik: Gleichheit, Wahlfreiheit (den Angehörigen sprachlicher Minoritäten soll freistehen, wieviel sie von der schwedischen Kultur annehmen wollen) und Gegenseitigkeit (Zusammenarbeit und aktive Teilnahme der Migranten am gesellschaftlichen Leben). Die Neuankömmlinge haben sowohl das Recht auf bis zu 500 Stunden Schwedischunterricht, bezahlt während der Arbeitszeit, als auch auf die Förderung ihrer Muttersprache am Gymnasium. Um ihre Belange kümmert sich seit 1969 das staatliche „Einwanderungswerk“, vor zwei Jahren wurde von der Regierung zusätzlich ein Ombudsmann bestellt, der alle Gesetze und Verordnungen auf ethnische Diskriminierungen überprüfen soll.
Ein gelobtes Land - doch nur für den, der es tatsächlich schafft, hineinzukommen. Und das wird zunehmend schwieriger. Kürzlich ging die schwedische Einwanderungsbehörde sogar so weit, ein knappes Dutzend Sowjetbürger mit der Begründung zurückzuschicken, in ihrem Land stünde zu Zeiten der Perestroika alles bestens. „Bei ihrer Rückkehr drohen ihnen keine Strafen“, prognostizierte der schwedische Einwanderungsbeamte Björn Westin. Und das in einer Situation, in der gerade durch die Perestroika die Verhältnisse in der UdSSR besonders unberechenbar geworden sind. Die Zurückgeschickten müssen zwar nicht mehr so wie früher automatisch damit rechnen, verhaftet zu werden. Eine Verhaftung ist jedoch nicht auszuschließen. Mit beruflichen Sanktionen haben sie in jedem Fall zu rechnen. Deshalb protestierte amnesty international entschieden auf die neuartige und voreilige schwedische Art, sich unliebsamer Flüchtlinge zu entledigen.
Es fing an mit dem Einwandererstopp 1973. Im gleichen Jahr hatten noch 20.000 Chilenen, die nach dem Pinochet-Putsch nach Schweden geflüchtet waren, problemlos Aufnahme gefunden. Mittlerweile ist es jedoch so, daß nur noch politische Flüchtlinge mit gültigem Visum oder im Rahmen der Familienzusammenführung Aufnahme finden. 1987 kamen 13.000. Vor zwei Jahren hatte Ministerpräsident Carlsson die DDR bereits erfolgreich überredet, niemanden mehr ohne gültiges Visum gen Norden passieren zu lassen. Auch wurden nach dem Palme -Mord immer häufiger politisch aktive Flüchtlinge zur Verhinderung der „Vorbereitung terroristischer Taten“ ausgewiesen. Nun hat die Regierung beschlossen, die Paßkontrollen an den Grenzen zu verschärfen, um Flüchtlinge sofort wieder ins Erst-Einreiseland abzuschieben. Diese Direktabweisung ist mehrmals vom UNO-Flüchtlingskommissariat kritisiert worden. Jan Bolling vom amnesty-internatiol-Büro in Stockholm: „Da gibt es keine Anwälte, keine Zeugen und keine Statistiken.“ Schätzungen sprechen von rund 2.000 Direktabweisungen im vergangenen Jahr. Da ist Selbstlob, wie von Olof Palme bei seiner Regierungserklärung 1985 vorgebracht, nicht mehr angebracht. Damals sagte Palme, daß die schwedische Flüchtlingspolitik „ein wichtiger Ausdruck für in praktisches Handeln umgesetzte internationale Solidarität“ ist.
Im Juli nächsten Jahres soll eine Gesetzesnovelle das Anerkennungsverfahren verkürzen helfen, die Rechtshilfe für die Betroffenen verbessern und dem Einwandererwerk mehr Kompetenzen zuteilen. Das wird im Klartext heißen: Noch weniger werden hineingelassen, aber für diejenigen, die drin sind, wird es besser werden.
gp/gk/kir
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