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ERBLÜHTE FRAUENKÖPFE

■ Hubertus Brand in der Galerie Michael Schultz

Hubertus Brands Thema ist der Mensch. Vorzugsweise aus Ton werden annähernd lebensgroße Köpfe und etwa halbmeterhohe Aktfiguren geformt, ausnahmsweise kommen auch Gips und sogar Beton zum Einsatz. Die Behandlung des Figürlichen ist traditionell, das heißt hier einer Tradition verpflichtet, die im Menschen noch das Maß sah, für die der raumsituierende Mensch mit und durch seinen Körper, in den Proportionen beispielsweise, einen Zusammenhang bildet zu den Gesetzen des Kosmos, wovon die Kunst in der Anschauung der Griechen ein Teil ist.

Mit dem Mut des Unbekümmerten setzt Brand eine Antithese zum modischen Zeitgeist. Aber man verwechsele ihn nicht. Brand ist kein Nutznießer postmodernen „anything goes“ oder des bedenkenlosen Zitierens.

Hier setzt der Künstler in der Form eine Ordnung, bei der der Mensch zum Sinnbild wird, bei dem man das gleiche schauen kann, was in der Sphärenmusik der Himmelskörper in ihrer ewig gleichen Wiederkehr verborgen liegt. Brands Werk ist eine Wieder-Holung, eine Rückerinnerung einer idealistischen Idee.

Schönheit, das ist das Maß in der Beziehung der Elemente im Raum. Körper und Schwerkraft in die Schwebe gebracht - der Mensch steht, Standbein und Spielbein. Eleganz, Anmut, ja Würde des aufrechten Ganges, alles das, was schon verloren geglaubt war, wird bei Hubertus Brand beharrlich, aber bescheiden verteidigt. Brand setzt noch einmal an, die Schöpfung ins Werk zu setzen. Wie der Demiurg in so vielen Schöpfungsmythen, wo ein Gott den Menschen aus Erde zusammenbackt, so wachsen Brands Figuren aus jenem Erdteig, dem noch halbflüssigen Material des Tons, und gerinnen unter der Hand des Künstlers zur Form. Brand ist in diesem Sinne weniger ein Bildhauer, als ein Plastiker. Gegen die Härte des Steins hat er eine instinktive Abneigung.

Die Köpfe lassen noch ihre Materialität erkennen. Wie eine eruptive Lava schießt da eine Gestalt aus dem Sockel, um dann als Frauenkopf zu erblühen, der durch die Hand besänftigt, individuelle Züge erkennen läßt, die Physiognomie feiert, das Anlitz, das am Ende in seiner entspannten, gelassenen Objektivation sich behauptet gegen die Abbrüche und schroffen Verstümmelungen, da wo das Material sich sträubte, wo hier ein Hinterkopf fehlt, dort eine ganze Gesichtshäfte wie in einen Steinbruch zerbröselt. Die so vorgeführten Gestalten sind keine idolisierten Helden, sondern Abbilder von immer menschlich gebliebenen Wesen. Ein leises „Ecce Homo“ für die ganze Gattung.

„Voller Intensität, nichts leer, voller Wärme, voller Tiefe“, dieses Credo Wilhelm Lembrucks, dem augenscheinlich wie eingestandenen geistigen Vorfahren, über die Plastik ist auch hier zu spüren. Nimmt es wunder, wenn Joseph Beuys noch kurz vor seinem Tode bekannte, in Lembruck eine Fackel gesehen zu haben, die ihm sagte „Schütze diese Flamme“? Lembruck, Inspirator einer Idee, worin für Beuys alles Plastik wird. Im Beuysschen Sinne sind wir verwandt mit der Plastik Brands. Wie der Organismus aus dem Flüssigen des Blutes den Körper schafft, so wächst die Skulptur aus dem noch plastischen Erdbrei. Die strukturierte Oberfläche, die Spuren des plastischen Prozesses und die Intimität des Ausdrucks hauchen diesen Kreaturen Leben ein. Wer in einem Gesicht lesen kann, wird an ihnen etwas Beseeltes feststellen, keinen Ausdruck psychologischer Enträtselung, wie es aus einer Gebärde, einer Mimik hervorginge, kein Fall der einen oder anderen Individualneurose, sondern eine menschliche, wesenhaft menschliche Tiefe.

Manchmal scheint sich das Tongeschöpf dieser Welt verweigern zu wollen. Schon reißt seine Oberfläche auf, bricht ein Drahtskelett aus Hals und Gliedmaßen, und der Leib läßt sich nur künstlich mit Leim zusammenhalten, der den Körper mit einem sonst ungewohnten schaurigen Glanz überzieht, was zu einem beinahe surrealen Effekt führt.

Brands Vorliebe für den weiblichen Körper läßt sich nicht leugnen. Dessen Sinnlichkeit wird bei einer Schwangerenfigur dominant. Die Ausarbeitung des Gesichtes ist hier zurückgenommen. Der pralle Bauch und die schwellenden Brüste recken sich nach vorn. Doch diese Schwere wird in der Silhouette aufgefangen, in der Linie bleibt Eleganz. Mit handwerklicher Bravour ist eine Feinheit durchgehalten, die bis in die Fingerspitzen reicht.

Diese Intuition für den Schwung der Linie, in der Abriviatur zum Eigentlichen, zeigt sich auch in den mit Bleistift ausgeführten Aktstudien. Ein paar Striche genügen, um die Plastizität einer Form hervorzubringen.

Es ist kein geringes Kompliment zu konstatieren, daß man bei Hubertus Brands Plastik in Metaphern des Humanen sprechen muß.

Ronald Berg

Hubertus Brand in der Galerie Michael Schultz, Mommsenstraße 32, 1/12, Dienstag bis Freitag 14 bis 19 Uhr, Samstag 11 bis 15 Uhr (bis 14.1.).

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