Lehnstuhlreisen: "Stuttgart zu Fuß"

Kennen Sie Clara Zundel? Nein? Ihr gehörte das erste Auto in Stuttgart-Sillenbuch. Auch nicht gewußt? Dann schauen Sie doch mal in den etwas ungewöhnlichen, sehr informativen und spannend aufgemachten Stadtführer „Stuttgart zu Fuß“. Im Hamburger VSA-Verlag erschienen, ist dieses Buch ein stadtgeschichtliches Dokument, das aus dem Rahmen der üblichen Führer herausfällt. Sie werden schnell feststellen, daß Sie Ihre Stadt doch nicht so genau kennen; aber auch für Zugereiste wie mich ist das Buch zur unverzichtbaren Hilfe geworden. In keinem Stuttgart-Führer habe ich z.B. gelesen, daß das berühmte Neckarstadion 1933 vom damaligen Oberbürgermeister „Adolf-Hitler-Kampfbahn“ getauft wurde. Und da gibt es noch die Waldheime, sozialistische Biergärten, die ein spezifischer Beitrag der Stuttgarter Genossen zur Arbeiterkultur waren.

Mit „Berlin, Frankfurt oder Stuttgart zu Fuß“ im Reisegepäck wußte ich immer wie es lang ging, wo ich lang ging. Auf dem Kreuzberg in Berlin werden heute noch etliche Flaschen Wein erzeugt. Oder: KGB am Oranienplatz. Nein, nicht was Sie jetzt denken. KGB stand für Kauf- und Lagerhaus des Konsumvereins Groß-Berlin! Und in Frankfurt hat ein linker Soziologe Privatradio gemacht: „Kann man von seinem Genie leben? - Nie! Wie soll ich denn Reichtum erwerben? Erben!“ So Walter Benjamin in einer seiner regelmäßigen Kindersendungen bei „Radio Frankfurt“. Der am 1.4.24 gegründete kommerzielle Privatfunk war eine Aktiengesellschaft und dennoch ein wirklich offenes Medium.

Und ich komme nochmal auf die Schwabenmetropole zurück. Dort ist das Buch ein wahrer Kassenschlager geworden. Im High-Tech-Ländle scheinen sie auf ihre „andere“ Geschichte besonders angewiesen zu sein. Ob daran die Lehrpläne des Kultusministers schuld sind? Und wenn Sie dann in der Blumenstraße 34 in Sillenbuch sind, werden Sie merken, daß Sie Clara Zundel selbstverständlich kennen - nur nicht unter ihrem richtigen Namen!

Elke Wiepen

In der Reihe bisher erschienen: Berlin, Bremen, Frankfurt, Hamburg, München, Stuttgart, 24,80 DM / 26,80 Mark