: Nachsitzen auf dem Streikkongreß
■ Mit dem Berliner UNiMUT-Kongreß wollten die StudentInnen ihrer Bewegung neuen Auftrieb geben
Ein Aktionstag beendete gestern den dreitägigen Streikkongreß an den Berliner Universitäten. Pünktlich zum Abschluß hatten die Mediziner an der FU per Hammelsprung für die Fortsetzung des Streiks bis zum Semesterende gestimmt wenn auch mit knapper Mehrheit. Und pünktlich zum Aktionstag ließ Innensenator Kewenig gestern seine Polizisten losknüppeln, um leistungsorientierteren unter den Medizin -Eleven den Zugang zu ihrer Bildungsanstalt zu sichern (siehe Bericht auf Seite 1).
Die Studenten schmieren die Brote und kochen den Kaffee, die Studentinnen sitzen auf den Podien, tragen die einleitenden Statements vor und moderieren die Debatte. Die Studenten achten genau darauf, das „-innen“ immer mitzusagen.
Die Universität scheint über Nacht auch eine Institution für Frauen geworden zu sein. Noch niemals war an einer bundesdeutschen Universität der Ruf nach Quotierung, feministischer Forschung und Lehre in allen Fächern so laut zu hören. Und noch nie haben sich Frauen in studentischen Protesten so in den Vordergrund gekämpft. Die drei Kongreßtage haben sie personell beherrscht - drei Tage, die an die gute Streikstimmung und Euphorie vor den Weihnachtsferien anknüpfen und Signale setzen wollten, um das Abflauen der Proteste im gesamten Bundesgebiet zu verhindern.
An den Universitäten ist offenbar ein Prozeß der Angleichung im Gange, an Umbrüche, die in den letzten Jahren von den sozialen Bewegungen - im wesentlichen außerhalb der Universitäten - erkämpft worden sind: Vor allem die Forderung nach Quotierung, aber auch nach feministischer Forschung wird von den Studentinnen in einer Breite diskutiert, die vor einem Jahr nicht denkbar gewesen wäre.
Vielleicht kommt die Frauenfrage in diesem Streik aber auch mit solcher Vehemenz zum Tragen, weil traditionell linke Kategorien unter der Mehrzahl der Studentenschaft keine mobilisierende Wirkung mehr haben.
So war es eigentlich schon fast selbstverständlich, daß auf diesem UNiMUT-Kongreß ein ganzer Tag (und nicht nur ein paar Veranstaltungen) dem Thema Feministische Wissenschaftskritik und Patriarchat gewidmet war. Das Nachholbedürfnis der Studentinnen ist offenbar groß. Ein Tag, an dem die Probleme und Spannungen dieses Streiks (die es trotz aller Dynamik und massenhafter Beteiligung gibt) besonders gut zum Ausdruck gekommen sind.
Eröffnet wurde der „Frauentag“ am Samstag morgen mit einer Nachricht, die die Studentinnen in Angst und Schrecken versetzte: Ein Mitarbeiter des unversitären Wachschutzes berichtete, er habe in der vorangegangenen Nacht einen Mann gestellt und der Polizei übergeben, der fünf Tage vor Weihnachten in der Frauentoilette eine Frau vergewaltigt haben soll. Die Aufregung war groß; später heißt es auf dem Frauenplenum, dies sei die dritte Vergewaltigung in den besetzten Räumen der Universität seit Beginn des Streiks. Nachrichten, die in den autonomen Männerseminaren an diesem Tag kein Thema ist. Viele Studenten möchten die Vergewaltigungen nicht so „hochhängen“, es ist ihnen peinlich, daß „so etwas“ in ihrer beFreiten Universität passiert. Einige Frauen versuchen jetzt nämlich, nachts Patrouillengänge zu organisieren - und daran haben sich bisher nur wenige Institute beteiligt. Von neuer Qualität ist sicherlich auch da die Vehemenz, mit der auf diese Gewalt an Frauen in einem Streik hingewiesen wird.
Aufholen - und dann?
Die Podiumsdiskussion zu Beginn des „Frauentages“ geriet manchmal zum feministischen Nachhilfeunterricht, und doch hörten die meisten den Referaten mit viel Geduld und Interesse zu. Was feministische Wissenschaft ist, faßte die Professorin Christina Thürmer-Rohr so zusammen: „eine Provokation, eine Haltung der Kritik gegenüber dem Geschlechterverhältnis“. Ihre Sprengkraft bestehe in der „einfachen Wahrheit“, daß Einsichten in die Veränderung der Gesellschaft niemals nur aus der Perspektive eines Geschlechts erdacht werden können. Feministische Wissenschaft sei darum immer auch Herrschafts- und Gesellschaftskritik.
Frauen seien an der Universität „nur mit Transitvisa zugelassen“, ergänzte Hedwig Rudolph, die Volkswirtin. Es sei darum sehr schwer, an den Fachbereichen so etwas wie ein „kollektives Gedächtnis“ zu etablieren.
Die Studentinnen waren sich während der Diskussion durchaus nicht einig: Während die einen den Vorträgen geduldig zuhörten, wollten die anderen praktischer werden, gleich über Umsetzungsstrategien diskutieren. „Ich bin Medizinerin, aber was feministische Forschung am Fachbereich Medizin sein soll, kann ich beim besten Willen nicht sagen“, meinte eine Studentin und fügte hinzu: „Der Streik ist dazu da, unsere Forderungen inhaltlich zu füllen, und diese Zeit müssen wir uns einfach nehmen.“ Andere wollten auf den großen Unterschied zwischen Theorie und Praxis zu sprechen kommen: „Überall heißt es, der Streik bröckelt. Wir haben ganz extreme Forderungen, und wir müssen hier und heute praktikable Quotenmodelle diskutieren, sonst geht es bestimmt nicht weiter.“
Was von den erfahreneren Mitstreiterinnen aus der Frauenbewegung der 70er Jahre an Ratschlägen kam, löste eher Beklommenheit aus. Einerseits versuchte Christina Thürmer -Rohr den Studentinnen Mut zu machen: „Ihr seid so viele Frauen wie noch nie an einer Universität, ohne euch kann der Lehrbetrieb nicht weitergehen.“ Gleichzeitig wurde sie aber sehr pragmatisch: „Die Quotenforderung ist eine Provokation und keine im Moment realisierbare Forderung.“ Und als aus dem Publikum Pfiffe und Buh-Rufe kamen, fügte sie hinzu, die Professoren seien schließlich auf Lebenszeit eingestellt, „und die können wir ja nicht einfach rausschmeißen“. Außerdem, so bekräftigte die Naturwissenschaftlerin Elvira Scheich, seien in ihrem Bereich die formalen Voraussetzungen noch gar nicht gegeben, da gebe es kaum Professorinnen. Sie sprach von der Notwendigkeit, langfristige Strategien zu entwickeln, Konkreteres wußte sie auch nicht.
Den Frauentag hat ein Teil der Studenten genutzt, um ein „Männerforum“ auf die Beine zu stellen - eine Kopie der „Männertage“ der letzten Jahren, jedoch ein Novum an der Universität. Rund 100 Männer waren erschienen, diskutierten ruhig und manchmal klagend über Männlichkeit und Machtverlust. „Die Emanzipation des Mannes steht im Raum“, hieß es, und die Frauen seien schon zwanzig Jahre weiter. Dennoch wolle man sich nicht an den Forderungen der Frauenbewegung orientieren: „Die Frau kämpft um die Anerkennung als intellektuelle Person, der Mann muß seinen Körper entdecken“, meinte ein Student. Mit konkreten Forderungen taten sich jedoch auch die Studenten schwer. Das Augenmerk müsse erst einmal auf männliche Selbsterkenntnis gelegt werden. Gefordert wurde, das eigene Redeverhalten zu überprüfen und bei schlimmen sexistischen Angriffen auf Frauen aufzustehen und zu sagen: „Das ist Scheiße.“ Ein anderer Mann sah jedoch darin sofort eine neu zugewiesene „Beschützerrolle“. Ein anderer wiederum hatte keine Lust, wegen der Quote auf die eigene Stelle zu verzichten: „Ich will nicht historische Entwicklungen auf meinem Rücken ausbügeln.“ Am geringsten war der Zulauf zu dem autonomen Seminar, das mit dem Titel Männer und der §218 angekündigt war: Gerade ein Mann fühlte sich angesprochen.
Wie weiter
mit dem Streik?
Wie lange die Studenten und Studentinnen in Berlin und im Bundesgebiet den Streik aufrechterhalten können - das wurde auf diesem Kongreß hin und wieder angesprochen, jedoch nicht ausführlich diskutiert. Ein Anhaltspunkt: Die Atmosphäre war gut, und wer im Laufe dieser drei Tage aufstand und betonte, daß „wir Studenten und Studentinnen in diesem Streik noch ganz viel zu gewinnen haben“, konnte sicher sein, mit tosendem Beifall bedacht zu werden. Und daß der letzte Tag der Verbindung zum außeruniversitären Widerstand gewidmet war, war an sich schon ein Signal zum Weitermachen. Doch ob sich das Gros der StudentInnen bald mit mehr Geld und besseren Studienbedingungen zufriedengeben wird, ist noch nicht entschieden. In Berlin haben die Medizin-StudentInnen an der FU am Sonntag abend ihren Hammelsprung gemacht - und sich mit knapper Mehrheit fürs Weiterstreiken entschieden. Damit setzen diejenigen ein deutliches Signal, die am meisten zu verlieren haben: Die Entscheidung bedeutet, daß diejenigen, die ihre Praktika absolvieren müßten, nunmehr ein Semester verloren haben.
Ursel Sieber/Frauke Langguth
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