Italien führt neues Sexualstrafrecht ein

■ Gesetzesreform vor der Abgestimmung / Noch immer zahlreiche Unsicherheitsfaktoren / Sexualstraftaten sollen künftig als Verbrechen wider die Person geahndet werden / Als Vergewaltigung...

Im italienischen Parlament wird heute und morgen über das neue Sexualstrafrecht abgestimmt. So recht weiß derzeit noch keiner, was am Ende bei den Entscheidungen über das „Jahrhundertwerk“ herauskommt: Als erstes europäische Parlament hatte sich das italienische schon in den sechziger Jahren vorgenommen, ein „modernes Sexualstrafrecht für das dritte Jahrtausend“ zu schaffen (so der Mehrheitsbericht im Senat), „geprägt von den Forderungen der Frauen- und Menschenrechtsbewegungen“, vom „Sinn für Freiheit und Selbstbestimmung“ (die christdemokratische Berichterstatterin Ombretta Fumagalli Carulli), aber auch vom „Schutz der Allgemeinheit für die Schwächeren und Erniedrigten“ (so die PCI-Abgeordnete Carol Beebe). Doch nahezu zwei Jahrzehnte waren notwendig, um die verschiedenen Gesetzesvorlagen (seit 1968 gab es nicht weniger als 42 Entwürfe) abstimmungsreif zu machen.

Quer durch die politischen Gruppen verlaufen die Fronten, noch immer mehr als vier Dutzend Zusatzanträge stehen heute und morgen auf der Tagesordnung, Anträge, deren Approbation eine Reihe hochgelobter Prinzipien des Werkes wieder in Frage stellen könnten.

Insbesondere die wichtigste aller Neuerungen: Sexualstraftaten werden in Italien nicht mehr wie bisher vorwiegend als „Verstoß gegen die guten Sitten“ oder die „öffentliche Moral“ behandelt, sondern als Verbrechen wider die Person. Sie stehen damit auf einer Stufe mit Körperverletzung, und so sind künftig Schandurteile wie jenes von 1988 unmöglich, in dem ein Vater von der Anklage des Mißbrauchs seiner Tochter freigesprochen worden war, weil der Gerichtshof darin „kein öffentliches Ärgernis“ erkannte.

Doch schon bei der Frage, wann, wie und wo Sexualstraftaten verfolgt werden können, dürfen oder müssen, sind die ParlamentarierInnen ganz und gar nicht einig. Der Mehrheitsgesetzesentwurf sieht die „Strafverfolgung ex ufficium“ vor, das heißt der Staatsanwalt muß ermitteln und gegebenenfalls anklagen, sobald er von einem solchen Verbrechen erfährt. Das wollen aber zahlreiche ChristdemokratInnen aber zumindest innerhalb der Ehe so nicht haben - da soll nur aufgrund einer Anzeige der vergewaltigten Frau ermittelt werden können. Das aber, so der Einwand der KommunistInnen, macht wiederum die Rücknahme der Anzeige aus Angst möglich. Doch auch Frauenrechtlerinnen wie die Grüne Rosa Filippini sind gegen die Offizialverfolgung: „Es widerspricht ja gerade der reklamierten Freiheit und Selbstbestimmung der Frau, wenn der Staatsanwalt auch von ihr ungebeten im Sexualleben herumwühlt und zum Herrn über das Verfahren wird.“

Unsicher auch, ob weitere Anträge durchgehen, die vor allem die Prozedur vor Gericht betreffen - und von denen die Realisierung der Reform weitgehend abhängt. So verbietet zwar die neue Strafprozeßordnung die üblichen Verteidigerfragen nach dem Sexualverhalten der vergewaltigten Frau ebenso wie das Verhör zu den Einzelheiten des Tathergangs (auch weil Vergewaltigung nicht mehr mit „vollzogenem Geschlechtsverkehr“ identifiziert wird, sondern auch im „Zwang zu Berührungen“ oder in „sexuell entwürdigenden Handlungen“ bestehen kann) - doch nicht ausgeschlossen sind solche Fragen durch das Gericht selbst; hier soll ein von den sozialistischen Frauen eingebrachter Zusatz Abhilfe schaffen. Auch die seit Jahren diskutierte Frage, ob man Frauenverbände als Nebenklägerinnen bei Vergewaltigungen zulassen soll - ein sicher massiver Schutz für die im Prozeß immer alleingelassene Frau -, ist noch nicht entschieden, und weder die Frauenverbände noch die Parteien haben ausreichend Phantasien darüber entwickelt, wie man eine solche Nebenklage praktisch umsetzen soll.

Von einem Umdenken zeugt das Gesetz allerdings auf einer anderen Ebene: Fortfallen soll die sogenannte „automatische Vergewaltigungsannahme“ bei Geschlechtsverkehr mit Jugendlichen unter 17 Jahren: Da mußte zwar der Mann bisher automatisch in den Knast. Strafbar als Vergewaltigung bleibt auch auch künftig der Verkehr mit Jugendlichen unter 14, doch die Strafverfolgung entfällt, wenn beide zwischen 14 und 17 sind und einverstanden waren.