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PHILIP MORRIS BITTET ZUM TANZ

■ Einer von zehn Berliner Tanztagen

Im Programm steht groß PHILIP MORRIS LIGHT AMERICAN und auf dem beigelegten Handzettel die schon geläufig gewordene Formel „wir danken der Stiftung der deutschen Klassenlotterie, der Siemens AG und der Firma Philip Morris ...“. Auf den Cafetischen gehen die eigenen Zigaretten unter den zahllosen Haufen aufwendiger Probepackungen verloren. Solche magenübersäuernden Sponsorenmischungen könnten überflüssig werden, wenn der im letzten Jahr gegründete Verein „Tanz Initiative Verlin“ die von ihm geforderte kulturpolitische und finanzielle Unterstützung vom Senat erhielte. Allein auf Sponsorenkolosse angewiesen, wird sich die Berliner Tanzszene, in der sich neben bekannten Solisten auch genügend kleine Performancegruppen tummeln, ohnehin nicht kontinuierlich Ausdrucksmöglichkeiten erarbeiten und ein Publikum außerhalb der Insiderkreise erschließen können.

Die von der „Tanz Initiative Berlin“ veranstalteten „Berliner Tanztage“ zeigen, wie breit Ansprüche und Vermögen der Künstler gefächert sind. Allein am Sonntag abend reichte im Ballhaus Naunynstraße die Spannweite von Modern Dance bis zum japanischen Butoh-Tanz. Sylvia Siegel, in Berlin bekannte Tanzpädagogin und Choreographin, reiste mit ihrem Solo „Für ein Tagebuch“ ins Ich: „Hineingeworfen in ein Meer klirrenden Glases beginnt eine Reise. Sie bricht jäh ab den Faden finde ich wieder unter anderen Scherben.“ So nichtssagend wie ihre Beschreibung war die Aneinanderreihung der Grundfiguren von deutschem und amerikanischem Modern Dance. Schritte und Bewegungen blieben meilenweit hinter der Dramatik der Musik von Philip Glass zurück. Die schwarzen Pünktchen auf Sylvia Siegels flatterndem Freizeitanzug schienen die vergeblichen Bemühungen um eine glaubwürdige Beschreibung der Seelenkämpfe höhnisch zu be-i-tüpfeln. Die schlichte Straßenkleidung von Hendrik Terdenge und Annette Reckendorf dagegen war wie geschaffen für ihr blitzschnelles Pas de Deux „decentral impedients“ nach der Musik von John Adams. Streng formalistisch durchkreuzen die beiden den Raum, die Figuren millimetergetreu voreinander verschiebend und fast mechanisch ausführend, und fanden nur wenige Sekunden lang in synchronen Bewegungen zueinander. Jeder war - ganz klassisch modernes Paar - in seiner eigenen Welt.

Dort mußte auh Delta Ra'l vom deutsch-japanischen „tatoeba -theatre danse grotesque“ bleiben. Blaßgeschmikt und mit stummfilmschwarz umrandeten Augen hing er in einem samtenen Stuhl und ließ den kahlgeschorenen Kopf hin und her pendeln, nicht eine Minute, nicht zwei, sondern eine halbe Ewigkeit, in der eine unsichtbare Fliege unhörbar durch den Raum trudelte. Endlich verfolgte der Unheimliche den Störenfied, als plötzlich Yumiko Yoshioko und Minako Seki mit einem Purzelbaum durch Seidenpapier auf die Bühne schossen. Ein Klopfen, Ringen, Kichern, Tuscheln, Massieren, Kämpfen und Schmeicheln begann um, vor und mit dem und über den Mann im Smoking, daß der Puder von den weißen Frauenkörpern wölkte. Der Bogen der Musik von Tom Waits zu Frederic Chopin war das Selbstverständlichste der Welt. Zu guter Letzt hatte Delta Ra'l beim Tango das Nachsehen, denn - ätsch - Frauen küssen Frauen!

Für die Mischung aus groteskem Tanz der 20er Jahre und dem Butoh-Tanz der Metamorphose gab es wie für „decentral impediments“ lauten Applaus. Zwischen den Zigarettenpäckchen im Cafe des Ballhauses lag schon die Ankündigung für das nächste Projekt des „tatoeba e.V.“. Ein Workshop mit dem japanischen Butoh-Tanztheater Dance Butter soll unter der Leitung von Anzu Furukawa in einer Ballhausnacht im Stil der 20er Jahre enden. Die Performance soll ab 1.9. im Ballhaus Naunynstraße aufgeführt werden. Für den Workshop können sich Profi-Tänzer und Schauspieler und interessierte Laien beim „tatoeba e.V.“ bewerben, die dann von Anzu Furukawa ausgewählt werden. Vielleicht ist der/die KultursenatorIn, der/die das Unternehmen sowieso unterstützt, bis dahin ja überzeugter Nichtraucher.

Claudia Wahjudi

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