: Festungskritiker
■ „Gefährliche Liebschaften“ von Stephen Frears
Hundert Minuten ein Don Juan, der die Geometrie der Liebe beherrscht, eine Dona Joana, die ihm Fallen stellt, Hindernisse in den Weg legt, ihn anstachelt. Kabale als höchste Form der Liebe.
Geld korrumpiert. Das Thema von Stephen Frears (Mein wunderbarer Waschsalon) erstem Film, den er mit richtigem Geld drehen konnte, ist Korruption. Geschickt. Noch geschickter, daß es nicht um die vergleichsweise harmlose geht, die wir vom Berliner Grundstücksmarkt kennen, sondern um eine andere, gemeinere: um Verführung. Nicht der Unschuld. Auch dazu kommt es, aber dem Helden ist das eine zu leichte Aufgabe, die er nur widerwillig erledigt. Reizvoller: die Verführung einer verheirateten Frau, einer Frau zudem, die Wert auf Tugend legt, die die eheliche Treue hochhält, das Sich-Arrangieren verabscheut, die Liaisons. Ihren Widerstand zu brechen, das ist den Schweiß des Tapferen wert.
Das Ganze - man merkt es - spielt nicht heute, nicht auf Bürofluren und nicht an den Swimmingpools der Grünen Witwen. Nein, der Held trägt prächtige Perücken, Mantel und Degen, die hochgeschnürten Busen der Damen sind gepudert. Die Kamerafahrten führen durch gepflegte Parkanlagen und lange Flure in riesigen Schlössern. Glanz und Gloria des An?ien Regime. Choderlos de Laclos‘ Roman hat die Vorlage geliefert.
Die Welt, in der kluge Architekten und beredte Dichter den menschlichen Körper mit einer Festung verglichen, brachte Chevaliers hervor, die all ihren Verstand, ihre Kühnheit, ihre Zeit und ihre Physis einbrachten, um einen - in der Literatur meist weiblichen - Körper nach dem anderen fallen zu sehen. Der Eroberer darf kein Schwächling sein, er muß Entschlossenheit zeigen, aber der Witz besteht darin, daß die Festung sich den bedrängenden Angriffen freiwillig ergibt, daß sie, obwohl ein einfaches „Nein“ genügen würde, am Ende selbst dazu zu schwach ist.
Schwieriger noch, der Eroberer darf sich nicht in sein Opfer verlieben. Die wahre Kunst des anstürmenden Liebhabers, sein uneinholbarer Vorteil, besteht darin, daß er sich in der Gewalt hat, seinen Gefühlen, der Spontaneität keine Macht über seine Handlungen einräumt. Kalkül ist alles. Kühle strategische Köpfe waren gefragt, die auch das spontanste Organ noch ihrer Kontrolle unterwerfen konnten. Wie ein Feldherr mal die Musketen nach vorne brachte und mal die Kavallerie, mal die Kanonen und mal die Kundschafter, so schickt der Eroberer des Schönen Geschlechts mal seinen Charme, mal seine Kraft, mal sein Inszenierungsgeschick, mal sein Geld an die Front. Die Festung muß gestürmt werden, und je länger sie Widerstand leistet, desto größer der Ruhm des Siegers. Die Frauen erscheinen als vom Mann beherrschte, rational durchschaute, kalt ausgenutzte Natur. Beutestücke.
Aber bei Choderlos de Laclos, der sein Offizierspatent verlor, weil er das Vaubansche Festungssystem kritisierte, ist der Don Juan selbst eine Marionette. In der Hand einer Frau. Sie inszeniert dieses Theaterstück, dessen Hauptreiz darin besteht, daß es das Leben selbst ist. Als der Held das merkt, nein, als sie ihm das sagt, da kippt der Film.
Die letzte Viertelstunde: eine Resurrektion der Natur gegen die höfische Kunst der Kabale. Mißglückt, vermasselt. Da sterben edelmütig und wahr nach all den kunstvollen Tricks und Drehs die beiden Liebenden: der geläuterte John Malcovich und seine Liebe, die brave, treue Michelle Pfeiffer. Sie sterben, getrennt zwar, aber beide als bessere Menschen. Ein schrecklich dummes Ende nach so viel Kunst.
Arno Widmann
Stephen Frears: Dangerous Liaisons, mit Glenn Close, John Malkovich, Michelle Pfeiffer, nach dem Theaterstück von Christopher Hampton, das auf dem Briefroman von Choderlos de Laclos basiert, GB 1988, 113 Min.
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