Ein Jahr danach: Rheinhausen- Herbst 1988

(„Rheinhausen - Herbst 1988“, Samstag, 20 Uhr, WDR) Als die Stillegungspläne der Stahlunternehmen im Ruhrgebiet im letzten Jahr bekannt wurden, war in dieser Region nichts mehr so wie vorher. Brücken wurden besetzt, Konzerte gegeben, Straßen blockiert - mehr als eine Million Solidaritätsmark erreichte die Betroffenen. Das war 1987. Hunderte von Journalisten nahmen sich des Themas an und ließen es wieder in Vergessenheit geraten. Ein Jahr später ist wieder Ruhe eingekehrt: Betäubung.

1991 werden die Kruppschen Stahlwerke mit Mannesmann fusionieren, etwas später als ursprünglich geplant. Die Konsequenzen sind bekannt: Stellenabbau , Hüttenstillegung, Frühpensionierung.

Sechs Monate nach Beendigung des großen Arbeitskonfliktes haben sich Klaus Wildenhahn und ein Filmteam des NDR aufgemacht, die Folgen des verlorenen Kampfes zu dokumentieren. Seine Spuren sind herbstlich, von Sensationen entlaubt. Die Massen vom Vorjahr üben sich in öffentlichem Schweigen; privat, am Tresen, wird noch diskutiert, man vertreibt sich die Zeit mit Kegelabenden und in der Stammkneipe. Nur der Gewerkschaftschor tritt noch lautstark für eine gemeinsame Sache ein, seit einem Jahr gehören Lieder aus dem südafrikanischen Widerstand zum Repertoire. Alles macht den Eindruck, als gäbe es nichts mehr zu berichten, zumindest nichts, was den Ansprüchen eines Medienereignisses gerecht würde. Deshalb ist Wildenhahns Film auch ereignislos: Mensch pur. Ebenso pur wie Wildenhahn sein Handwerk als Dokumentarfilmer ausübt. Das Zusammentreffen läßt etwas Wahres, einen poetischen Film entstehen. Es scheint, als seien Filmemacher und Sujet aus einem Guß.

Rheinhausen Herbst '88 ist ein solidarischer Film, wohl wissend, daß mit den Forderungen des einhundertsechzig Tage währenden Arbeitskampfes wenig mehr erreicht wurde als kosmetische Verbesserungen im Sozialplan einer vorrangig wirtschaftspolitischen Umstrukturierung.

Rheinhausen Herbst '88: Das sind Relikte einer zerstörten Beziehung, eine Mischung aus vergangener Empörung und enttäuschter Liebe. Die Stimmung unter den Menschen scheint gepägt von leiser Melancholie, und es liegt Wehmut in den Bildern: Jemand radelt auf einem leise quietschenden Fahrrad durch die morgendlich leeren Straßen. Die Antwort auf die Frage nach der Macht ist kurz: In allen wichtigen Bereichen trafen weder Krupp noch Politiker die Entscheidungen - es waren die Banken.

Christa Thelen