Helfen statt denunzieren-betr.: "Lehrer sollen HIV-Infizierte denunzieren", taz vom 6.2.89

betr.: „Lehrer sollen

HIV-Infizierte denunzieren“,

taz vom 6.2.89

Was mit diesem Erlaß der niedersächsischen Regierung zu Tage tritt, ist ungeheuerlich befremdend, doch gleichzeitig geeignet, uns weiter die Augen zu öffnen. Zum einen darüber, daß man sich im Bildungsministerium bereits auf eine große Ausbreitung der Aids-Erkrankung auch in SchülerInnenkreisen gefaßt macht, was uns zeigt, wie ernst die Lage ist; zum anderen wird klar gesagt, daß der/die LehrerIn nicht in erster Linie Vertrauensperson, sondern VertreterIn des Staates sein soll.

Wie aber soll vernünftige Erziehung und Ausbildung möglich sein, wenn nicht auf der Grundlage eines uneingeschränkten Vertrauens? An wen soll ein/e HIV-infizierte/r SchülerIn sich wenden, um seelisch mit seiner/ihrer Erkrankung fertig zu werden und verantwortungsvoll damit umzugehen? Oft ist es doch ein/e LehrerIn, der/die diskret helfen kann, zumal wenn es bei den Eltern alleine nicht möglich ist. (...) Ich finde, die Entscheidung sollte dem Gewissen eines/r jeden Lehrers/In und vor allem auch der betroffenen SchülerInnen vorbehalten bleiben. Verständlich das Interesse der Öffentlichkeit vor gefährlichen Krankheiten geschützt zu werden, dennoch ist eine Auskunft über Krankheiten Dritter ein Eingriff in deren Intimbereich, was im Sinne der Menschenwürde zu beachten ist. (...)

Hans-Christian Schirmacher, Würzburg