: Ausnahmezustand aus nichtigem Anlaß
■ Folgen eines Lagerfeuers vor dem streng bewachten Bremer Amtsgericht / Nach drei Verhandlungstagen und drei Befangenheitsanträgen verlor Staatsanwalt die Lust am Verfahren und schlug Einstellung vor
„Auf den Gerichtsfluren ist der Aufenthalt verboten. Das gilt auch für Sie“, herrscht der Zivilpolizist vor dem Saal 151 des Bremer Amtsgerichtes den Reporter an. Gegenüber den gut 20 Freunden und Bekannten des Angeklagten Michael T., die gekommen waren, um dem Prozeß zu folgen, war der Mann eine Stunde zuvor noch wesentlich unfreundlicher gewesen. Die hatte er mit andern Knüppelbewehrten gewaltsam aus dem Flur in das Wartezimmer getrieben. Der Rechtsanwalt, der in einer Verhandlungspause die Toilette aufsuchen wollte, mußte sich sagen lassen, er solle erst die Zigarette ausmachen, wegen Explosionsgefahr.
Im Zuschauerraum sitzen mindestens ebensoviele Polizisten in Zivil, wie Freunde des Angeklagten. Im Amtsgericht ist Ausnahmezustand. Ein Ausnahmezustand aus fast nichtigem Anlaß.
Im Sommer vergangenen Jahres hatten etwa 50 Jugendliche bei den Walkiefern in Bremen-Vegesack ein Feuerchen gemacht. Gitarre wurde gespielt und richtig „nett“ ist's gewesen, erinnert sich einer. Schon an den Tagen zuvor hatten die Jugendlichen Brennbares zusammengetragen und auf dem Beton Feuer gemacht. An jenem Abend aber kam die Feuerwehr, Polizei im Gefolge. Und weil man schon mal am löschen war, wurden auch die Jugendlichen ein bißchen naßgespritzt. Aus der netten Stimmung wurde eine aggressive. Ein Stein flog und zerstörte die Scheibe des Feuerwehrwagens.
Die Polizei machte sich auf Verfolgungsjagd und nahm unter anderen Michael T. fest, der sich, so die Anklageschrift „mit beschuhtem Fuße“ gewehrt haben soll. Michael T. aber fühlt sich absolut unschuldig und mag daher das Angebot des Staatsanwaltes von Bock und Polach, das Verfahren gegen eine Geldbuße von 150 Mark einzustellen, nicht akzeptieren. So landen die Widerstandhandlungen vor dem Jugendrichter Bernard Klosterkemper.
An den drei Verhandlungstagen spielt weniger die Wahrheits
findung eine Rolle, als vielmehr Klosterkempers Prozeßführung. Denn Klosterkemper läßt es zu, daß der Leiter des Polizeieinsatzes, der den Bericht geschrieben hat, der Grundlage des Prozesses ist, dem Prozeß im Zuschauerraum folgt. Der Antrag des Rechtsanwaltes, den potentiellen Zeugen zum Gehen zu veranlassen, wurde von Klosterkemper abgelehnt.
Der Rechstanwalt reagierte mit Befangenheitsanträgen, da sein Mandant Mißtrauen gegen die Neutralität Klosterlkempers habe. Als dieser Antrag von dem Richter Albrecht Lüthke abgelehnt wird, ohne daß dem Angeklagten eine angemessene Frist zur Stellungnahme gegeben wird, stellt der Anwalt auch gegen Lüthke einen Befangenheitsantrag.
„Mich beunruhigt, was hier
von verschiedener Seite geschieht. So etwas ist mir in dieser Form lange nicht mehr passiert“, gab der Rechtsanwalt angesichts des massiven Polizeiaufgebots als persönliche Erklärung zu Protokoll. Und auch Staatsanwalt Bock sah eine „Disproportion zwischen dem Gehalt und dem was
gelaufen ist.“ Eine ungewisse Anzahl weiterer Verhandlungstage vor Augen schlug er die Einstellung des Verfahrens vor. „Zweimaliger Widerstand ist kein schwerer Vorwurf. Das muß nicht zur Verurteilung kommen“, meinte er. Ein Ziel des Jugengerichtes seien erzieherische Maß
nahmen und die seien in diesem Fall erreicht, da dem Angeklagten bewußt geworden worden sei, daß seine Tat zur Anklage und zur Verurteilung hätte führen können. „Verteidigungsstrategie war es einen Freispruch zu erreichen,“ entgegenete der Anwalt, aber angesichts der Begleitun
stände stimmte er der Einstellung dann doch zu.
Zu den Begleitumständen gehört auch eine Bombendrohung, die zwei Stunden vor dem Verfahren beim Antsgericht einging. In der Herrentoilette im 2. Stock fand sich aber lediglich ein Feuerlöscher.
hbk
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