piwik no script img

Man spricht crucchi

■ Sieben männliche und eine weibliche Italienreisende in Kordkostümen zeigten am Sonntag im Lagerhaus absurdes Entertainment vom Feinsten: „Die bleichen Camper“

„Crucchi“ heißt soviel wie Starrkopf und ist im Italienischen das Synonym für die Deutschen, die turnusmäßig das Land bereisen und neben Mark und Müll einen präzisen Eindruck ihrer Wesensart zurücklassen.

„I Crucchi“ nennen sich deshalb sieben männliche und eine weibliche Italienreisende in Kordanzügen bzw. Kordkostüm, die am Sonntag ihre dortigen Erlebnisse bewegend schilderten und, so ist zu hoffen, zukünftig in der Geschichte der deutsch-italienischen Freundschaft ihren festen Platz einnehmen werden.

Als „die bleichen Camper“ waren sie über die Alpen gezogen; Herbert (Mathias Meyer), der sich Arbeit aus dem Büro mitgenommen hat und gelegentlich angesichts am Strand zusammenbrechender Klappstühle ins Philosophieren über sich und die Welt gerät. Marlies (Conny Geiger) und ihr Gatte Wuppfried (Mathias Kassel) die durch den athletisch -südländischen Luigi (Farschid Ferdowsi) in eine ernste Beziehungskiste gestürzt werden, und Gisbert (Hartmut Schmidt), der seine pessimistische Lebenseinstellung durch voyeuristisches Fotografieren zu kompensieren sucht.

Komplettiert wird die Reisegruppe durch den schönen Hans -Helmut (Frank Bobran), der sich zwanghaft kämmt und dem schüchternen Gerd Christus (Michael Meyer) seine Zuneigung gesteht, indem er ihn mit Kirschkonfitüre bestreicht und abschleckt. Absurd? Verrückt? Von vorne bis hinten, und wenn man weiß, daß der achte der besessenen Reisegruppe Hans König ist, wirklich so heißt und als Autor

seine geballte Erfahrung vom „Theatre du Pain“ in das Programm schaffte, so mag man sich nicht lange wundern. I Crucchi bieten absurdes Theater vom Feinsten. Zunächst weiß man gar nicht, worüber man eigentlich lacht, erst allmählich formen sich die schnellen Szenen zu bizarren, irrwitzigen Urlaubskuriositäten. Klamauk paart sich mit scharfem Witz und jeder Menge Action, in die das Publikum auf ebenso aufregende wie charmante Weise einbezogen wird: Zuschauer werden zum Walzer gebeten, doch die Spannungen zwischen den Crucchis eskalieren zur zünftigen Tanzsaal-Hauerei, bei der die Schläger bedrohlich in die Stuhlreihen purzeln, und auch die hektischen „Standaktivitäten“ entladen sich vorzugsweise im Saal.

Ein verblasen-poetischer Text kommentiert die meisten Szenen aus dem Off, die Akteure bewegen zu theatralischen Gesten die Lippen, diese obskure Nähe zum ersten berühmten Italienreisenden ist wohl die gelungenste Pointe. Kaum zu glauben, daß dieser Regieeinfall der Not entsprungen ist: das Programm ist für Italien konzipiert, für ein Festival in Padua im vergangenen September, das Italienisch der Starrköpfe reichte nicht aus, ein Tonband mußte her. Erst der große Erfolg dort unten ließ die Idee entstehen, eine deutsche Fassung auf die Bühne zu bringen.

„Die bleichen Camper“ ist ein „Singspiel“. Aus dem Chaos steigt Musik. Gute Musik. Die Acht asen genußvoll auf der großen Wiese der Rockmusik und weiden sich ganz nebenbei an den albernen Manierismen der Popkultur. Die Texte sind englisch.

Ein spritziger, abgefahrener Schmaus für Auge und Ohr, man möchte sich die Crucchis irgendwann mal im Fernsehen wünschen, auch wenn sie selbst der Meinung sind, daß an manchem noch gefeilt und pointiert werden muß. Sie stünden halt noch ganz am Anfang. „We have the right to fail“, sangen sie deshalb am Schluß selbstbescheidend. „We have the right to flop“. Keine Sorge.

Rainer Köster

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen