BesetzerInnen testen SenatorInnen

■ Innensenator Pätzold: Besetzung in der Fraunhofer Straße ist „Kampfansage“ an den Senat / BesetzerInnen wollen „AL-Kosmetik austesten“ / „Raus aus dem Ghetto Kreuzberg“ / „Antipatriarchales, revolutionäres Zentrum“ geplant: „Macker fliegen raus“

Die rot-grüne Koalition bewertet die Besetzung des ehemaligen Arbeitsschutzmuseums in der Fraunhofer Straße in Charlottenburg unterschiedlich. Erich Pätzold, der neue SPD -Innensenator, sieht in der Aktion, wie er der taz gestern sagte, eine „Kampfansage“ an die neue Regierung. AL-Sprecher Noe hat dagegen „nicht den Eindruck“, daß die BesetzerInnen die rot-grüne Regierung einer Belastungsprobe unterziehen wollen. Daß die Besetzung kurz nach der Vereidigung des neuen Senats begann, ist für den AL-Sprecher einfach eine „Duplizität der Ereignisse“. Ein Polizeieinsatz gegen die Fabrik-Besetzung sei nur das „letzte Mittel“, bekräftigte eine Senatsrunde am Samstag. Zunächst soll Umweltsenatorin Schreyer eine „politische Lösung“ suchen.

Die BesetzerInnen selbst äußern sich widersprüchlich. Sie wollen durchaus „austesten, wie weit die AL-Kosmetik geht“. „Zufall“ sei es nicht gewesen, daß sie ihre Aktion ausgerechnet in der Nacht starteten, in der SPD und AL die erfolgreiche Senatswahl begießen konnten. Es sei zwar nicht ihre Absicht, eine „Regierungskrise“ zu provozieren; schonen wollten sie die AL, die nun endgültig „die Seiten gewechselt“ habe, aber auch nicht. „Scheißegal“ sei ihnen das einfach, sagte ein Besetzer zur taz. Nicht „um den Senat zu ärgern“, hätten sie das Gebäude besetzt, sondern um ein „revolutionäres Zentrum“ zu schaffen, auch aus Solidarität mit dem Hungerstreik der RAF-Gefangenen. Eines der im Zentrum verteilten Flugblätter fordert aber auch: „rot-grün zerschlagen; mit der dgb-jugend feiern“. Der auch intern umstrittene Satz „Bullen erschießen“ ist mittlerweile aus dem Text gestrichen.

Das Argument der AL, sie könne mit einer Senatsbeteiligung mit mehr Arbeitsplätzen und Wohnungen den „Republikanern“ den Boden entziehen, weisen die BesetzerInnen als illusorisch zurück. Die Grundbedürfnisse der Menschen, etwa nach Wohnraum, könne auch eine AL-Regierung nicht befriedigen. „Wir wollen nicht in dem System was ändern“, sagt eine Besetzerin, „sondern das System abschaffen.“ Eine weniger brachiale Innenpolitik sei nicht unbedingt ein Gewinn, meinen die BesetzerInnen. Von einem rot-grünen Senat seien im Zweifelsfall höchstens „Schaumstoffknüppel“ zu erwarten. Die neue Koalition suche lediglich „andere Wege, uns kleinzuhalten“, glauben die BesetzerInnen.

Direkte Gespräche mit dem Senat lehnen sie ab. Nach ihren Angaben hat sich Umweltsenatorin Schreyer noch nicht in dem Gebäude sehen lassen, für das die von der AL nominierte Regierungsfrau noch bis zum 31.März zuständig ist. Eine der von den BesetzerInnen gewünschten Vermittlerinnen, die ehemalige RAF-Gefangene Monika Berberich, wurde von der AL angesprochen. Die Antwort steht noch aus.

Die BesetzerInnen fordern, ihnen das in Bonn bereits bewilligte Geld für die Sanierung des Gebäudes zu überlassen. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), der das Gebäude gehört, will hier Laboratorien unterbringen. Bis zum 31.März hat allerdings noch, wie berichtet, die Senatsumweltverwaltung das Hausrecht. Sie hatte das Haus für eine Ausstellung gemietet. Die Ausstellungstafeln händigten die BesetzerInnen am Samstag „gegen Quittung“ unbeschädigt aus.

Das „Revolutionäre Zentrum“ soll kein Wohnprojekt werden. Den BesetzerInnen schwebt ein Zentrum für politische und kulturelle Veranstaltungen vor, ein Ort, an dem sich Gruppen treffen können. Ein Ziel, laut Flugblatt: „die diskussion zwischen raf, autonomen, anarchistInnen, der Zehlendorfer Schülergruppe, der dgb-jugend“.

Wir sind mehr als nur die, die im ghetto kreuzberg sitzen, mehr als nur die, die im mehringhof aneinander vorbeigehen“, heißt es in einem anderen Flugblatt. Nach den Unterschieden zum Mehringhof befragt, verweisen die Leute aus der Fraunhofer Straße auf die konsequentere „antipatriarchale“ Haltung, die sie einnehmen wollen. Sie soll das ganze Projekt durchziehen und nicht nur „neben“ der sonstigen Politik herlaufen. Die Männer in dem Zentrum wollen selbst versuchen, ihr „männliches Verhalten radikal in Frage zu stellen“. Die Frauen sollen nicht gezwungen sein, ständig „Nachhilfeunterricht“ zu erteilen. „Typen, die extremes Mackerverhalten zeigen, fliegen raus“, versichern die BesetzerInnen. Außerdem herrscht „Alkverbot“. „nur unser offensives auftreten kann verhindern, daß auch dieses projekt wieder mal am machogehabe der typen scheitert“, heißt es in einem Flugblatt.

Eine rot-grüne Lösung findet nicht den Beifall der Besetzerinnen: „Quotierung ist äußerliche Kosmetik“. Diskussions- und Sprachstil seien dann weiterhin männlich geprägt: „Da werden Frauen nur darauf getrimmt, sich männlichen Verhaltensweisen anzupassen.“ Heute abend findet im Zentrum eine Veranstaltung zum Thema „Waffen für El Salvador“ statt.

hmt