„Das Gerede von Selbstbestimmung ist Heuchelei“

■ Steve Galster, Analytiker beim „National Security Archive“ in den USA, äußert sich zu der zaghaften Kurswendung der USA in Afghanistan / Dschalalabad hat bewiesen: Auch die USA müssen über eine mögliche politische Lösung nachdenken

taz: Das US-Außenministerium will dem Einfluß Pakistans auf die Mudschaheddin Einhalt gebieten und einen Sonderbeauftragten entsenden, der die moderaten Kräfte der Übergangsregierung unterstützen soll. Wie ist diese späte Kursänderung zu verstehen?

Galster: Im Grunde bleibt alles beim alten. Nach wie vor unterstützen die USA die Mudschaheddin, bis zum Sturz des Kabuler Regimes. Infolge des sowjetischen Truppenabzuges haben die USA allerdings erstmals einen Großteil der Waffen den Kommandeuren in Afghanistan direkt zukommen lassen, statt über die politischen Führer in Pakistan. Das begann im Mai 1988, direkt nach Beginn des Truppenabzugs. Damit sollte der Sturz des Regimes beschleunigt werden. Größere Städte wie Kabul und Dschalalabad sollten eingeschlossen und die Regierungstruppen unter Druck gesetzt werden, um sie zum Überlaufen zu bewegen. Zur Strategie zählten auch die sporadischen Raketenbeschüsse der Städte, sowie die Unterbrechung der Lebensmittelversorgung. Das pakistanische Militär und insbesondere Pakistans Geheimdienst ISI waren sehr darauf bedacht, daß die Mudschaheddin so früh wie möglich eine der großen Städte einnehmen würden, um dort eine Übergangsregierung einzusetzen. Bevor Zia-ul-Haq starb, wollte er in Kandahar eine Großoffensive sehen. In diesem Gebiet kämpften jedoch die eher moderaten Kommandeure, die, im Falle einer Übernahme, ihre eigene Regierung ausgerufen hätten. Führer wie Gailani, Modjadeddi und Muhammedi hatten mit den lokalen Kommandeuren, der Miliz und selbst mit einigen der afghanischen Militärs vor Ort verhandelt. Anscheinend waren sie kurz davor, große Teile der Armee zum Überlaufen zu bewegen. Als die pakistanischen Militärs davon Wind bekamen, sandten sie ihre favorisierten Führer wie Hekmatiar in die Region, um die Pläne der Moderaten zu durchkreuzen. Dann konzentrierte sich das Interesse auf Dschalalabad, wo die Kämpfer der Fundamentalisten stärker präsent sind. Aber die militärischen Schlüsselfunktionen liegen auch dort nicht unbedingt bei den Fundamentalisten, werden jedoch von ihnen und dem pakistanischen Geheimdienst kontrolliert. Nachdem auch hier die afghanischen Regierungstruppen nicht übergelaufen sind, hielt man die Mudschaheddin zu einem Frontalangriff an, der noch immer im Gange ist. Nun ist jeder überrascht: Die Kabuler Regierung ist zwar nicht stark, aber sie kann um ihr Leben kämpfen.

Jahrelang hat sich die US-Außenpolitik nicht an der fundamentalistischen Ausrichtung des pakistanischen Geheimdienstes ISI gestört. Woher die späte Einsicht?

Seit 1979 haben sich die USA nicht an diesem Geheimdienst oder den fundamentalistischen Fraktionen gestört - damals galt es, die Sowjets um jeden Preis zurückzuschlagen. Die entschlossenen Krieger der fundamentalistischen Fraktionen kamen da gerade recht. Nun, da die Sowjets abgezogen sind, der Geheimdienst aber seine Politik beibehält, liegt Kritik natürlich nahe.

Die Siebener-Allianz in Peshawar darf nicht als Repräsentant des afghanischen Volkes mißverstanden werden. Sie wird von Fundamentalisten beherrscht. Die meisten Afghanen sind indes einfach Traditionalisten. Der einzige, der von den Flüchtlingen akzeptiert werden könnte, ist derzeit Ex-König Zahir Shah, den der ISI nicht einmal nach Pakistan, geschweige denn nach Afghanistan einreisen lassen würde. Wenn also die USA vom Recht der Afghanen auf Selbstbestimmung reden, ist dies sicherlich heuchlerisch. Noch immer unterstützt die offizielle US-Politik die Ziele der von Fundamentalisten dominierten Mudschaheddin-Allianz.

Erhält Hekmatiar noch immer die meiste Hilfe?

Nummer Eins ist heute Rabbani, während Hekmatiar vielleicht auf den zweiten oder dritten Platz abgerutscht ist. Für Rabbani sprechen zwei Gründe: Zum einen ist er ein Fundamentalist, der bereit ist, mit den Moderaten zusammen zu arbeiten. Zum zweiten favorisieren ihn die Amerikaner aus strategischen Erwägungen. Seine „Jamaiat-i-Islami“ kontrolliert die größten Gebiete in Afghanistan, einschließlich der nördlichen Regionen und des Pandschir -Tals. Als Tadschike jedoch hat Rabbani keine Chancen, Präsident von Afghanistan zu werden - das würden die Pashtunen niemals zulassen. Auch wenn es um die Einnahme Kabuls geht, muß man auf die Männer von Khalis und Hekmatiar zurückgreifen.

Wie diskutiert der US-Kongreß über die fortgesetzte Verletzung der Genfer Verträge?

Da die Sowjets nun einmal die militärische Unterstützung für das PDPA-Regime fortsetzten, beanspruchen auch die USA, den Widerstand beliefern zu können. Die Genfer Verträge waren, unter Einschluß der Klausel einer positiven Symmetrie, von Anfang an eine Farce - ein Instrumentarium, die Sowjets zum Abzug zu bewegen. Die Sowjets mögen sich wohl erhofft haben, daß die USA ihre Unterstützung für die Rebellen reduzieren würden. Bislang ist dies nicht geschehen.

Was versprechen sich die USA von einer moderaten Regierung?

Zunächst haben sie politische Gründe, denn es dürfte schwierig sein, sich etwa im Iran für eine moderate Regierung stark zu machen, während man in Afghanistan radikale Kräfte an die Macht bringt.

Befürchten die USA nicht, die junge Demokratie in Pakistan durch die heimliche Regierung des Geheimdienstes zu schwächen?

Präsident Ishak Khan war nicht sofort bereit, Benazir Bhutto als Premierministerin einzusetzen. Damals wurde Bhutto auch vom US-Botschafter nebst einigen Mitgliedern des Verteidigungsministeriums aufgesucht. Man wollte ihre Zusage, sich vorläufig nicht in die Afghanistan-Politik des Außenministeriums einzumischen.

Wie beurteilen Sie die Kampfhandlungen in Dschalalabad?

Dschalalabad ist der erste Testfall für die militärische Lösung in Afghanistan. In den USA hat keiner geglaubt, daß es nötig sei, sich um eine politische Lösung zu bemühen. Dschalalabad beweist das Gegenteil. Bei Diskussionen mit sowjetischen Verantwortlichen wurde mir bedeutet, daß Moskau an einer politischen Lösung interessiert ist, ja sogar bereit, Nadschibullah auszutauschen und lediglich die niederen Ränge des PDPA-Regimes in den Ämtern zu behalten. Auf diesen Kompromiß würden auch die moderaten Rebellenführer eingehen, zumal sie auf deren Hilfe für den Wiederaufbau angewiesen sind.

Interview: Simone Lenz