: „Es gibt eine Seligkeit auf Erden“
■ Louise Aston: Sie kämpfte in der 1848er-Revolution, schrieb Romane und wurde im preußischen Polizeistaat bespitzelt und verfolgt. Sie war als „Emancipirte“ verschrien und lag dennoch im Clinch mit der bürgerlichen Frauenbewegung. Ein Porträt einer ungewöhnlichen Revolutionärin
Karin Wieland
In einer Sache, „die jedem guten Patrioten tief zu Herzen geht und gehen muß“, wendet sich im Dezember 1845 ein anonymer Briefeschreiber an den Königlichen Polizei -Präsidenten Herrn von Puttkamer. Es geht um eine Verschwörergruppe gegen den König, die ihre Zusammenkünfte die Nächte hindurch in der Weinstube Lauch abhält. Mit von der Partie - weiß der besorgte Bürger zu berichten - ist eine Frau, welche „durch ihre Verführungskünste und durch entsetzliche Ausschweifungen Männer jedes Standes und Alters nach sich zieht“, und damit nicht genug, „dies Weib hat im Verein mit vielen Männern, Dichtern, Künstlern, Offizieren, Juden etc. ein Komplott gegen den Staat, den König und die Religion gebildet“ (1).
Er droht dem hochwohlgeborenen Herrn Polizeipräsidenten an, wenn diese gefährliche Person nicht binnen 14 Tagen aus der Stadt und „überhaupt unschädlich gemacht“ sei, ein Schreiben gleichen Inhalts auch an den König gehe. Es folgen drei Ausrufezeichen.
Mit diesem Brief eines Berliner Bürgers wird die Polizeiakte „Louise Aston“ eröffnet. Er ist der Auftakt der lebenslangen Verfolgung der Schriftstellerin durch die Polizei. Es folgen Observationsberichte, weitere anonyme Briefe, Zeitungsausschnitte, Verweisungen - beeindruckende Belege für die politischen Verhältnisse in Deutschland, die der junge Marx schon damals als „unter dem Niveau der Geschichte“ bezeichnet hat.
Louise Aston selbst erscheint die Wichtigkeit, die ihrer Person und ihren Gedanken beigemessen wird, seltsam, eine Wichtigkeit, die sie sich beizulegen nie gewagt hätte, denn: „Wie kühn müßten die Träume einer Frau sein, welche sich für eine staatsgefährliche Person hielte“ (2). Anarchismus und Boheme in
Hippels Weinstube
Louise Aston zieht im August 1845 von Züllichau nach Berlin. Sie ist von bürgerlicher Herkunft, 31 Jahre alt, zweimal von dem englischen Industriellen Samuel Aston geschieden und Mutter einer Tochter.
Hinter ihr liegen 13 Jahre einer sogenannten „Wassersuppenehe“ in bürgerlicher Behaglichkeit.
Sie kommt nach Berlin mit dem festen Vorsatz, sich durchzuschlagen und als Schriftstellerin einen Namen zu machen.
In Berlin liegen noch die gefledderten und zerfledderten Ideen von Freiheit und Selbstbestimmung in der Luft. Die Träume von der Menschheitsverbrüderung von 1789 haben diesseits des Rheins einen pragmatischen Niederschlag gefunden. In den preußischen Beamtenstuben wurden Reformen modelliert, die dann „von oben“ dem Volk verordnet wurden. Die Jungdeutschen Heine und Börne sind ins Exil nach Paris gegangen; Kleist und die Günderrode, welche für „die erwürgten Sehnsüchte und Ängste“ (Christa Wolf) stehen, die den Beginn dieses Jahrhunderts begleiten, sind zugrundegegangen; die Salons einer Rahel Varnhagen oder einer Henriette Herz, in denen ein Miteinander von aufgeklärtem Bürgertum und Adel, Juden und Christen möglich schien, haben keine Nachfolge gefunden; im Norden Berlins entsteht das proletarische Armenviertel Vogtland.
Trotz strenger polizeilicher Überwachung, staatlicher Restriktion und allerorten vorherrschender Kleingeisterei haben einige der kühnen Gedanken in diesem „tatenarmen“ Volk überlebt, und während des Vormärz herrscht in Deutschland eine zukunftsträchtige Stimmung voll nervöser Ungewißheit.
Louise Aston, fest entschlossen zu „leben“, gerät in den Kreis der „Freien“ um Max Stirner, Edgar und Bruno Bauer. Die Gedanken des radikalen Individualismus der Berliner Boheme stehen in krassem Widerspruch zu der ihnen verordneten politischen Unmündigkeit. Treffpunkt der „Freien“ ist Hippels Weinstube, eine düstere, schmuddelige Weinkneipe, wo sie „lärmend und possenreißend eher in der Tradition des epater le bourgeois als in demokratischer“ tagen, wie Arnold Ruge bei einem Besuch in Berlin entsetzt notiert (3). Louise Aston ist zeitweise Mitglied der „Freien“, nimmt teil an hitzigen Debatten, führt atheistische Reden und raucht Zigarren.
In diesem Kreis werden Frauen gelitten, wenn sie sich auch den Normen der freigeistigen Männergesellschaft insofern anzupassen haben, daß sie sich männliche Kneipennamen zulegen. So heißt Marie Stirner Marius und Louise Aston Louis.
Aber nicht nur die Presse sieht sich veranlaßt, über das skandalöse Treiben zu berichten, das Protokoll des Polizeibeamten Goldhelm „Betreffend das Leben und Treiben der separierten Aston und der Emancipationsvereine“ vom 10.1.1846 lautet: „Politik spielt in diesen Zusammenkünften mehr eine Nebenrolle, wenngleich sie nicht ganz daraus verbannt ist. Das Hauptstreben in denselben ist bis jetzt wohl nur dahin gerichtet, sich auf eine freie und ungebundene Weise bewegen zu können“ (4).
Dieser Wunsch nach einer freien, ungebundenen Lebensweise hat für Louise Aston unangenehme Folgen. Ihr Gedichtband „Wilde Rosen“, ein Plädoyer für die freie Liebe, rückt sie erneut in das Licht der entsetzten Öffentlichkeit, sie bleibt Gegenstand polizeilicher Aufmerksamkeit und wird im März 1846 aufgefordert, Berlin zu verlassen. Ihre Eingabe beim König, ihre Audienz beim preußischen Innenminister haben keinen Erfolg. Am 19.3.1846 verläßt Louise Aston Berlin und zieht nach Köpenick. Der Traum von einer Sache
Kurz vor den Märzunruhen kehrt Louise Aston nach Berlin zurück, und die genauen Schilderungen der Barrikadenkämpfe in ihrem Roman „Revolution und Conterrevolution“ lassen darauf schließen, daß sie selbst am Geschehen beteiligt gewesen ist. In diesem Roman hat die Aston den Typus der aktiven Vormärzlerin geschaffen. Die Erzählperspektive ist weiblich, und Alice, die Heldin des Romans, wird gezeichnet als leidenschaftliche Verfechterin der revolutionären Idee, und immer wenn es darum geht, sich ins Gefecht zu stürzen, trägt sie Männerkleidung.
Sie operiert als Anwältin der Armen im Vogtland, agiert als schöne, verführerische Frau in den Salons der Reichen und verachtet „alle diese Marionetten, welche in der Welt Männer heißen“ (5).
Alice ist trotz des trivialen Charakters des Romans eine beeindruckende Frauengestalt, die es überaus geschickt und klug versteht, die Männer zu verwirren. Sie verwirrt sie durch ihre Schönheit, ihre verführerische Ausstrahlung oder durch ihre Verkleidung bei den Barrikadenkämpfen, wo sie die Männer (zunächst) glauben macht, sie sei einer von ihnen. Das Tragen von Männerkleidung ist ein Zeichen des sich -Bewegens in für Frauen nicht zugelassener Weise, ein Zeichen der Grenzüberschreitung, des Abenteuers, der List.
Ihre Wünsche und Vorstellungen setzt Louise Aston literarisch um in die Figur der Alice, die als ritterliches, stolzes Weib gilt, deren Ehre geachtet wird. „Was sinnst Du Kamerad?“, sagte neben ihm eine weiche Stimme. Er wandte sich um. Alice stand vor ihm, vollständig mit Büchse und Säbel bewaffnet. „Um Himmels willen, was machen Sie hier. Kommen Sie, ich will Sie an einen sicheren Ort bringen.“ „Bah, denkst du ich bin eine Memme, wenn ich auch Weib bin? Nenne mich Du - denn hier sind wir alle Kameraden.“
Im April 1848 zieht Louise Aston mit einem Freikorps nach Schleswig-Holstein und arbeitet bei den Aufständischen als Krankenschwester. Durch einen Streifschuß verletzt kehrt sie kurze Zeit später nach Berlin zurück. Frauenvereine distanzieren sich
Am 1.November 1848 erscheint die erste Nummer der von ihr verlegten Zeitschrift 'Der Freischärler‘. Dieses Blatt richtet sich mit einer auf Bildungswissen anspielenden Feuilletonsprache an das gebildete Bürgertum.
Nach siebenmaligem Erscheinen wird die Zeitschrift verboten und Louise Aston ein weiteres Mal aus Berlin verwiesen.
Von nun an lebt sie enttäuscht, ruhe- und heimatlos als politisch Verfolgte im nachrevolutionären Deutschland. Noch zwei weitere Male wird sie aus Berlin verwiesen, dasselbe geschieht ihr in München, Breslau, Zürich, Bremen und Leipzig.
Luise Otto bemerkt in einem Brief vom 5.Oktober 1850 voller Hohn, daß die vielbekannte Schriftstellerin Louise Aston in Berlin gewesen sei und „diesmal als Pariserin aufzutreten beliebte“. Daß dies keine Koketterie, sondern eine notwendige Tarnung gewesen ist, kommt ihr nicht in den Sinn. Sie fährt in ihrem Brief fort: „Übrigens hat sie sehr gealtert, ich vermochte die gepriesene Schönheit an ihr nicht mehr finden. Laß sie sich's nicht befremden, daß ich dies erwähne - bei andern Schriftstellern ist dergleichen gleichgültig, bei einer Dame wie der Aston aber, die ihren Ruf und ihre Erfolge viel weniger ihrem Schriftstellertalent, das von einigen sehr in Zweifel gezogen, als ihrem emancipierten Auftreten verdankt, mag das immerhin von größrer Wichtigkeit sein“ (6).
Der Begriff der „Emancipation“ war durch die „Emancipation des Fleisches“, einer saint-simonistischen Idee der freien Sinnenliebe jenseits der Beschränkungen einer bürgerlichen Ehe, in Verruf geraten. Luise Otto distanziert sich immer wieder von diesen „Zwitterwesen“, diesen „unreinen Elementen“ der demokratischen Bewegung, die für sie lediglich Karikaturen der Männer sind, die das Ansehen des „edlen Geschlechts“ beschmutzen und über die sie 1847 schreibt:
„Ich bemitleide sie (Louise Aston) wegen ihrer Richtung, weil diese eine Folge all der ungerechten Beschränkungen ist, welche die gegenwärtigen Verhältnisse den deutschen Frauen noch auflegen, aber ich erkenne in einer solchen Frau wie der Aston die größte Feindin eines Strebens, welche sich eine Hebung der deutschen Frau zur Aufgabe gemacht hat.“ (7)
Louise Aston bezeichnet die Demokratischen Frauenvereine als „heuchlerische Brut, welche mit erhabenen Ideen kokettiert, ohne sie zu begreifen, welche die ersten Gedanken des leidenden, blutenden Jahrhunderts mit ihren seichten Trivialitäten beschmutzt.“ (8)
Die „sentimentale Frivolität“ der Frauenvereine, die über „Suppenanstalten und Frauenhemdenverfertigungsmanufaktursubskriptionseröffnungen“ beraten, widert sie an: Sie sind Teil des von ihr verhaßten Bourgeoisphilistertums. Auch Luise Otto und ihre Mitstreiterinnen verweigern der Aston ihre Ehre. In ihrem Bemühen um eine harmonische Gemeinschaft von Mann und Frau er der liebende Gefährte, sie die liebende Gefährtin scheint für Luise Otto die Idee von der freien Entfaltung der Persönlichkeit, welche die sexuelle Freiheit miteinschließt, unanständig und den Ruf der deutschen Frau besudelnd. Die ungezügelte Neugier der Aston auf das Leben ist für sie obszön, und sie sieht dadurch die Ehre des „edlen Geschlechts“ beleidigt. Luise Otto tritt für einen Homogenisierungsprozeß der Gesellschaft ein, für die kollektive, homogene Fabrikation einer Liebe zum Staat und zur Familie. Sie fühlt sich in ihrem Streben gestört durch Frauen, die die individuelle Sinnenfreude betonen und die für sich noch ein anderes Erleben außer dem als Ehefrau und Mutter einklagen.
Indem Luise Otto der Aston die Ehre abspricht, sie als Zwittergeschöpf bedauert, als unrein diffamiert und ausgrenzt aus den Reihen der demokratischen Patriotinnen, hilft sie mit, den Grundstein zu legen zu einem Sitten- und Moralkodex, der Ende des 19.Jahrhunderts seinen bilderbuchhaften Höhepunkt findet: in den bürgerlichen Matronen, die haushälterisch ihren Körper verwalten und unter ihren schweren, weiten Röcken jegliche Utopie einer Liebesgemeinschaft erstickt haben. „Mein Aug‘ ist heiß,
doch tränenleer“
1850 heiratet Louise Aston den Arzt Daniel Eduard Meier, was ihr unter anderem einen gültigen Reisepaß beschert. Sie reist durch Deutschland (viele Kuraufenthalte lassen auf ihren angegriffenen Gesundheitszustand schließen) und ist noch immer Schikanen von seiten der Polizei ausgesetzt.
Im Jahre ihrer Heirat veröffentlicht sie den Gedichtband „Freischärlerreminiszenzen“. Die Gedichte sind von Resignation geprägt, ein melancholischer Abgesang auf verwegene Taten und Ideen, die nun endgültig der Vergangenheit angehören. Louise Aston und ihr Mann sind Mitglied des Demokratischen Vereins, sie unterhalten Kontakte zum Central-Committee für europäische Demokratie in London und gehören jenem dissidenten deutschen Bürgertum an, das sich nicht gänzlich eingliedern will in die satte Behaglichkeit der sogenannten „ruhigen Jahre“. Sie gehen zusammen nach Odessa, wo er als Militärarzt arbeitet. Es folgen unruhige Jahre, in denen Daniel Eduard Meier als Bezirksphysikus, Kur-, Bade- und Bahnarzt in Ungarn, Österreich und Deutschland arbeitet.
Louise Aston, die in den ereignisreichen Jahren viel Staub aufgewirbelt und die „Fröste der Freiheit“ (Fleißer) gespürt hat, verstummt in den Jahren nach der Revolution. Ihre Jagd nach dem „Mehr“ an persönlicher Freiheit verkommt zur Episode. 1871, im Jahr der Bismarckschen Revolution aus „Eisen und Blut“, stirbt Louise Aston in Wangen/Allgäu.
Louise Aston taugt nicht zur Heroine/zum Vorbild, und auch als begabte Schriftstellerin läßt sie sich nicht verkaufen. Und doch ist sie eine Frau, die durch ihr couragiertes Scheitern beeindruckt, die beeindruckt durch ihre ungelenken und trivialen Romane, in denen sie von einem Frauenleben zu wagen träumt, das verwegen, kühn und mutig ist.
(1) Goetzinger 1983, 31
(2) ebd., 66
(3) Mattenklott 1981, 141
(4) Goetzinger a.a.O., 35
(5) Aston 1849, 182
(6) Otto 1979, 306
(7) Hermes 1985, 80
(8) Goetzinger a.a.O., 132
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