: „Wir lassen uns nicht mehr einschüchtern“
■ I N T E R V I E W
Manoel Jose da Silva arbeitet seit den siebziger Jahren aktiv in der Landarbeitergewerkschaft von Rio Branco (Bundesstaat Acre, Nordwesten Brasiliens) mit. Er ist auch Leiter der Basisgemeinde von Senador Guiomard (in der Nähe von Rio Branco) und Koordinator der Ein- und Verkaufsgenossenschaft des Seringal Pontao, einer Gummibaumplantage ebenfalls unweit von Rio Branco.
Das Gespräch führte Margit Pieber ('Apia‘) anläßlich des Zweiten Nationalen Kongresses der brasilianischen Kautschuksammler.
apia: Wie hat sich der Mord an Chico Mendes auf die Arbeit der Gewerkschaft ausgewirkt? War die Landarbeitergewerkschaft in Rio Branco sehr geschwächt?
Manoel Jose Da Silva: Zunächst ja. Der Tod von Chico war ein großer Verlust für uns. Die Leute hier hatten großes Vertrauen zu ihm. Er hat viele Leute nach nächtelangen Gesprächen zur Gewerkschaft gebracht. Er konnte auch mit den Großen reden, und die hörten auf ihn.
1985 wurde er Berater der Weltbank und der Interamerikanischen Bank. Viele von uns sind ungebildet. Manche kennen nur den Wald, haben noch nie einen Autobus gesehen. Da ist das Problem der Nachfolge schon groß.
Waren die Leute nach der Ermordung von Chico Mendes sehr eingeschüchtert?
Nein, so unglaublich das klingt. Die meisten von uns haben Todesdrohungen erhalten. Wir leben damit. Ich weiß, daß mir die anderen zu Hilfe kommen, wenn es hart auf hart geht. Die exponierten Gewerkschaftsführer schützen wir, indem wir sie nie allein lassen.
Sie sind stets von einer kleinen Gruppe von Gummisammlern begleitet. Unsereins paßt eben im Wald besser auf, welchen Weg man nimmt, ob man eigenartige Geräusche hört.
Ich habe gehört, daß Eure Gewerkschaft neue Mitglieder gewinnen konnte. Ist das richtig?
Ja, viele Leute sind in den letzten Monaten beigetreten. Sogar die Frauen haben sich entschlossen, bei uns mitzuarbeiten.
Sie sind auch Koordinator der Ein- und Verkaufsgenossenschaft des Seringal Pontao. Wann habt Ihr diese Genossenschaft gegründet?
Vor 15 Jahren sind die Großgrundbesitzer aus dem Süden gekommen und haben Land gekauft. Bald wollten sie noch mehr Land kaufen. Dann sind sie in unsere Häuser gegangen und haben gesagt: „Wenn Ihr Euer Land nicht an uns verkauft, werden wir Euch aus dem Wald jagen.“ Dann haben sie uns zehn Cruzados für jeden Baum versprochen.
Also haben wir verkauft und gemeint, daß zehn Cruzados viel Geld wären. Bald waren wir aber beim Großgrundbesitzer total verschuldet. Dann haben wir die Idee von der Genossenschaft gehabt. So umgehen wir den Großgrundbesitzer und verkaufen direkt auf dem Markt.
Wie haben die Großgrundbesitzer darauf reagiert?
Sie gehen ständig bewaffnet herum. Sie ziehen ihre Pistolen, wenn sie uns sehen, weil sie glauben, uns mit dem Getue Angst zu machen. Manchmal verprügeln sie uns, wenn sie uns allein erwischen.
Der Seringal Pontao hat nur eine Straße. Die gehört dem Großgrundbesitzer. Natürlich verbietet er uns, sie zu benutzen. Wir haben daher Transportprobleme, aber auch genug andere Probleme, Nahrung in den Wald zu schaffen.
Die Diskussion um die sogenannte „Internationalisierung des Amazonas“ wurde von Präsident Sarney angeheizt. Er meint, die Ausländer würden sich in interne Probleme einmischen. Was meinen Sie dazu?
Ich glaube, daß uns nichts besseres passieren konnte. Vor einigen Jahren wußte niemand, wo Acre liegt. Heute berichtet die nationale und internationale Presse über unsere Probleme. Wir haben mit unserem Widerstand auch dazu beigetragen, daß kürzlich eine Zusage von 500 Millionen Dollar für Energieprojekte von der Weltbank zurückgezogen wurde.
Ich finde das großartig. Besser kann unser Wald nicht verteidigt werden. Sarney ist wütend, weil er merkt, daß diejenigen, die sich für den Amazonas einsetzen, gleichzeitig auf seiten der Armen stehen.
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