: Titten, Thesel, Temperamenten
■ S T A N D B I L D
(Berlin 19, Talkshow vom SFB, N 3, Freitag, 22 Uhr.) Wenn man im Fernsehen plötzlich viele Leute auf einem Haufen hocken sieht, die alle in dieselbe Richtung starren, auf einen Tisch, an dem ein paar Leute sitzen, denen andauernd Buchstaben aus dem Munde fallen, dann spricht man von einer Talkshow. Und wenn die Buchstaben einfach liegenbleiben, wenn keiner da ist, der sie mal aufhebt, zusammensetzt oder in die Körperöffnung zurückstopft, aus der sie geplumpst sind, dann spricht man von einer neuen Talkshow. Man redet in einem solchen Fall sogar von einem ganz neuen Konzept, über das Justus Boehncke angeblich drei Monate lang - nein, nachgedacht sollte man da nicht sagen - ja, was aber hat er dann? Eingeladen hat er, das wenigstens, muß also demzufolge früher in der Lage gewesen sein, sich in zusammenhängenden Sätzen auszudrücken.
Seiner Einladung Folge geleistet haben: Hermann Nitsch, Aktions-Märtyrer von Beruf und, laut eigenem Versprecher, von der Sendung Titten, Thesel, Temperamenten schwer geschädigt; dann: Werner Höfer, von Beruf „und dann kam dieser Schock“ (Boehncke); des weiteren die schneidige Juso -Susi Möbbeck und schließlich die schenkelzeigende Alexandra Kliche, Ex-Mitglied der Partei „war ja'n doller Wahlerfolg“ (Höfer), besser bekannt unter dem Namen „Republikaner“.
Ja, diese vier sitzen da also, klappen die Münder auf und zu, kommen, wie man so sagt, vom Hundertsten ins Tausendste, und wer nicht an der Reihe ist, schaut gelangweilt auf seine Uhr. „Die Kunst ist frei!“, schnauft Höfer in Richtung Nitsch und verspricht dem Mann, er bekäme gewiß seine Professur in der Schädel-Schule, von Frankfurtern eher Städl-Schule genannt. „Wir Künstler übernehmen den Abstieg“, blubbert Nitsch und verbittet sich das Zitieren aus seinem Buch, denn das sei unfair. „Vor Hans-Joachim Friedrichs müßten alle deutschen Frauen in die Knie gehen“, ist Höfers Meinung, und Susi Möbbeck will den „politisch aktiven Menschen“, während Alexandra Kliche „nicht meine gesamte Meinung geändert“ hat.
Nach Höfers Meinung - wann wo in welche Richtung auch immer geändert oder nicht - sind „Frauen in höheren Positionen ganz rare Ringeltäubchen“, und als Boehncke aus heiterem Himmel vorschlägt: „Wir reden jetzt mal übers Fernsehen, was es kann und was nicht“, hat Höfer auch gleich eine fundierte Meinung: „Die öffentlich-rechtlichen Anstalten sind nicht vollkommen.“ „Können Sie das belegen?“, sagt Boehncke zu seiner Uhr, und während er sich wieder in seine Geistesabwesenheit versenkt, geht es am Tisch um Nachrichtensprecher mit nacktem Oberkörper. Das wär doch mal was, meint Höfer. Nitsch mault, niemand würde ihn ins Gespräch „einbringen“, und Boehncke kriegt langsam den Eindruck: „Wir kommen ins Parlando. Machen wir einfach mal ganz formlos Schluß.“ Berlin 19: Infolge eines Unfalls mit schwerem Blechschaden ist dieser Stadtteil weiträumig zu umfahren.
Sybille Simon-Zülch
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