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Tabuthemen und Sozialkritisches

■ Mangelnde Wirkung des Prix Futura beklagt

Am Sonntag ging mit der Preisverleihung der diesjährige Prix Futura zu Ende. Den Preis in der Kategorie „Spielfilm“ erhielt der sehr poetische jugoslawische Film The Harms Case und der auf sehr sensible Weise gedrehte schwedische Spielfilm The Saxophone Pimp. Er beschreibt detailverliebt die tapsigen Annäherungsversuche einer gerade frisch geschiedenen Frau zu einem Handlungsreisenden während eines Kleinstadtballs.

The Harms Case hingegen erzählt auf surrealistische Weise die letzten Tage des russischen Dichters Danilo Ivanowitsch Harms, der 1942 in einem stalinistischen Lager starb. Nach seiner ersten Inhaftierung kommt Harms zurück in sein Pensionszimmer. Plötzlich wird sein geschriebenes Wort zur Realität. Lobend sprach sich die Jury auch für die Theaterverfilmung von Harold Pinters Mountain Language, für den deutschen Beitrag Drachenfutter und die holländische Produktion The Mechanical Child, über einen autistischen Jungen aus.

Mountain Language, ein filmisches Drama über die Unterdrückung politischer und sprachlicher Minderheiten. Ein Kurzfilm in zwei Akten, die beide im Gefängnis spielen. Die erste Szene: Eine Mutter besucht ihren Sohn im Gefängnis. Miteinander reden in der eigenen Sprache ist verboten. Die zweite Szene: Eine Frau trifft während ihres Besuchs ihren Mann, geknebelt und mit einem Leinensack über dem Kopf in den Gefängnisgängen.

Gerade im Bereich des Spielfilms besaßen die meisten Filme eine überdurchschnittlich hohe künstlerische Qualität. So auch der amerikanische Experimentalfilm Steps, in dem sich eine Touristengruppe bei der Führung durch ein Hollywood-Studio in die Szene der Treppenstufen des Panzerkreuzers Potjemkin von Sergej Eisenstein verirrt. Die Handlung nimmt ihren Lauf. Das aufständige russische Volk rennt getrieben von Gewehrsalven auf die bunte, schrille Touristenschar zu, die sich bewaffnet mit Fotoapparat und Blitzlicht in die Handlung stürzt.

Sozialkritische Beiträge über Obdachlosigkeit, gesellschaftliche Veränderungen durch die „Neuen Medien“, Psychiatirie, Jugend und Alter waren zu sehen. Tabuthemen, die man nur selten in dieser Schärfe auf bundesdeutschen Kanälen zu attraktiven Sendezeiten sehen kann. Zumindest konnten die öffentlich-rechtlichen, aber auch die privaten Sender auf der diesjährigen Prix Futura viel finden, was sich lohnt, einzukaufen.

Die beiden Preise im Dokumentarfilmbereich fielen einmal an die englische Produktion Afghantsi und an den schwedischen Film über das mongoloide Mädchen Martina. Afghantsi berichtet schonungslos über sowjetische Heimkehrer aus dem Afghanistankrieg. Trotz Glasnost und Perestroika und der Zusammenarbeit mit der sowjetischen Presseagentur 'Nowosti‘ durfte der Film bisher nicht in der Sowjetunion ausgestrahlt werden.

Die beiden Preise für die Radiodokumentation gingen an die finnische Sendung Cockroach. Mit Elementen aus dem Musical versucht Cockroach die Konzentrierung der Macht aus der Sicht eines Kindes widerzuspiegeln. Das englische Feature Waiting for Mrs Forbes über einen anglikanischen Kaplan in Frankreich wurde ebenfalls prämiert.

Als beste Hörspiele wurden der deutsche Beitrag von Ulrich Plenzdorf Not to go out Not to watch telly und das dänische Hörspiel Fair Kirsten ausgezeichnet.

Den Sonderpreis der Transtel TV-Jury, der für Produktionen aus der Dritten Welt ausgeschrieben ist, gewann der koreanische Spielfilm A Sad Honeymon. Ein frisch vermähltes Ehepaar trifft in seinen Flitterwochen auf ein anderes Paar mit Mutter. Abends finden beide die alte Frau alleine zurückgelassen an einem Felsen gelehnt. Ihr Sohn hatte sie wie einen Hund ausgesetzt.

Der schwedische Rundfunkförderpreis für junge Feature -Talente, der Ake Blömsröm Memorial Preis, gewann die finnische Reportage Voice is a Muscle of Soul. Eine Frau versucht während eines Theaterworkshops in Frankreich ihre verloren gegangene Stimme wieder zu finden.

Erstmals nahm auch Kuba an dem Hörfunk- und die Volksrepublik China an dem Fernsehwettbewerb des Prix Futura Berlin teil. Alle zwei Jahre wird das Festival vom Sender Freies Berlin (SFB) und dem Zweiten Deutschen Fernsehen unter der Schirmherrschaft der Union der Europäischen Rundfunkorganisation (UER) veranstaltet. In den letzten 25 Jahren entwickelte sich die Veranstaltung zu einem immer stärker werdeneden Wettbewerbsmarathon, der allmählich aus den Nähten des SFB-Rundfunkhauses zu platzen droht.

Hier werden die ersten Vorverträge für den Ankauf der gezeigten Film- und Hörfunkproduktionen ausgehandelt. Hier hoffen gerade Fernseh- und Rundfunkanstalten der Dritten Welt, denen besonders viel Beachtung geschenkt wird, auf den Verkauf ihrer Produktionen. Die Preisverleihung hingegen wirkt nur noch wie ein symbolischer Akt, der nicht einmal garantiert, daß die Senderechte der prämierten Produktionen gekauft und damit einem größeren Publikum zugängig gemacht werden.

Gerade unter den Dokumentarfilmern war die Unzufriedenheit über die mangelnde Wirkung des Festivals zu spüren. Aus ihren Reihen kam der Vorschlag, ihre Filme für Schulen und soziale Einrichtungen frei zur Verfügung zu stellen.

Andrea Röder

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