Blutige Geschichte

■ Vergangenheit des Kampftages in der Türkei

Istanbul (taz) -„Es gibt das Gesetz über Nationalfeiertage. Danach ist der 1. Mai kein Feiertag. Dem haben wir Rechnung getragen“, erklärte Staatsminister Ali Bozer, nachdem vorgestern die Polizei auf demonstrierende Arbeiter geschossen hatten. Er sagt die Wahrheit. Es gibt das Gesetz über Nationalfeiertage, und der 1. Mai ist kein Feiertag.

Der Kampftag der türkischen Arbeiterklasse wurde erstmalig 1921 in Istanbul von Mitgliedern der türkischen Nationalbewegung begangen. Nach Gründung der türkischen Republik kommt es in den zwanziger Jahren zu regelmäßigen kleineren Protestmärschen. Doch schon bald erfolgt die Abrechnung der bürgerlichen Nationalisten mit der Arbeiterbewegung. Nach dem 1. Mai 1927 ist Schluß mit 1. Mai -Kundgebungen. Der 1. Mai bleibt gesetzlicher Feiertag, deklariert als „Blumen- und Frühlingsfest“.

Mit dem Erstarken der türkischen Arbeiterbewegung Ende der siebziger Jahre findet nach 49 Jahren wieder eine Kundgebung in Istanbul statt. Hunderttausende Arbeiter sind 1976 dem Aufruf der linken Gewerkschaftskonföderation DISK gefolgt. Die Demonstration der DISK 1977 endet in einem Massaker. Scharfschützen - mutmaßlich Provokateure des Geheimdienstes

-schießen in die Menge. 37 Tote sind zu beklagen.

Die Frage, ob 1. Mai-Kundgebungen stattfinden, entwickelt sich zu einer Kraftprobe zwischen Herrschenden und Arbeiterbewegung. Nach dem Militärputsch 1980 wird die DISK verboten. Gewerkschaftliche Rechte werden mit Füßen getreten. Panzeraufgebote bestimmen unter den Militärs den Taksim-Platz am 1. Mai. Selbst das „Blumen- und Frühlingsfest“ wird abgeschafft.

1988 kommt es erneut zu kleineren Demonstrationen linker Gruppen am 1. Mai, die durch die Polizei niedergeschlagen werden. 1989 erklären mehrere Gewerkschaften, daß sie wieder am 1. Mai demonstrieren werden. Die Sozialdemokraten fordern die Anerkennung des 1. Mai als gesetzlichen Feiertag. Alle Kundgebungen werden verboten.

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