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BRETTER VORM KOPF UND AUF DEM DACH

■ Architektenwettbewerb für Holzhäuser auf die Paul-Hertz-Siedlung

Die Idylle

Daß diese Stadt Idyllen ganz besonderer Art beherbergt, ist hinlänglich bekannt. Eine davon trägt den Namen „Paul-Hertz -Siedlung“, liegt eingekeilt zwischen dem Charlottenburger Autobahndreieck und stellt sich tot, wenn man durchgeht. Die Balkone der vierstöckigen Wohnblocks sind zu Wetterstationen umgerüstet, selbstmontierte Markisen simulieren Sommerfrische, Freizeitaccessoires wie Campinglampen und Grillroste hängen an der Wand, und vereinzelt lugt ein Gartenzwerg über die Brüstung. Vom eintönigen Surren der vorbeirasenden Autos läßt sich niemand stören.

Auch sonst ist Ruhe und Ordnung angesagt: „Radfahren ist auf den Wegen verboten, Grünanlagen darf man nicht betreten, Verunreinigungen der Straße und Störungen durch vermeidbaren Lärm werden als Ordnungswidrigkeiten geahndet, und wer Teppiche, Läufer, Treppen- und Türvorleger, Decken und sonstige Einrichtungsgegenstände außer freitags von 8-13 Uhr sowie 15-19 Uhr und am Samstag vormittag ausklopft, muß mit 150 Mark Strafe rechnen. Hunde sind an der Leine zu führen!“

Die Pläne

Auszurasten droht die Idylle, weil Dreck ins Haus steht. Staub wirbelt auf, seit die städtische GEWOBAG (Gemeinnützige Wohnungsbau-Aktiengesellschaft Groß-Berlin) den Mietern die Ergebnisse ihres Architektenwettbewerbs vorstellte, demzufolge auf über 50 der flachgedeckten Häuser ein zusätzliches Stockwerk errichtet werden soll. Rund 300 neue Wohnungen könnten durch den Dachaufbau gewonnen werden, ohne daß Freiflächen zerstört würden. Sollten diese zusätzlichen baulichen Änderungen die Hürden des Bebauungsplans passieren - die Schaffung weiterer Dienstleistungsbereiche, ein möglicher Standort für die Kindertagesstätte und ausreichende Autostellflächen -, wäre im Frühjahr 1990, ist genug Geld im Sack, Baubeginn.

Clever operiert hat die GEWOBAG nicht nur im bisherigen Verfahren, denn die Bezirks- und Bauverwaltungen signalisieren Zustimmung. Auch in der Ausschreibung hat der Auslober durch den beschränkten Wettbewerb pragmatische Lösungen gefordert, die als Konzepte für vergleichbare Siedlungen der sechziger Jahre geeignet wären.

Prompt flogen vier der acht abgegebenen Wettbewerbsentwürfe heraus. Für eigenwillige Konzeptionen, nämlich mansardeähnliche Blechkisten, doppelstöckige Gewächshäuser oder je zwei Eckturmvarianten an den Kopfenden der Blöcke war aus ästhetischen und technischen Gründen kein Platz. Integrativ erachtete die Jury dagegen einen etwas spröden Funktionalismus, der, abgesehen von dem Entwurf der Architekten Baller & Baller, das stereotype Erscheinungsbild der Siedlung wenig verändert. Gaben die Ballers mit einer wie schwebend wirkenden, zeltförmigen Dachlandschaft mit giebelartigen Aufbrechungen den Bauten dynamische Proportionen und durch umlaufende Terrassen vor großen Glasflächen den Wohnungen einen Charakter kommunikativer Offenheit, so gleichen die drei anderen Entwürfe einer allmählichen Steigerung, die eine einheitliche, fast unauffällige Form zum Ziel hat.

Beinahe schüchtern wirkt darum auch der Entwurf der Planer Maedebach und Redeleit, den die Jury konsequent zur Realisierung empfahl. Denn durch die Erhöhung der Außenwände um eine Attikabrüstung mit aufgesetzter und rundumlaufender Pergola erzielen die Preisträger eine im Maßstab gleichbleibende Struktur und Höhe der bisherigen Architektur. Zugleich sieht der Entwurf vor, auf allen Z-, U - und L-förmigen Haustypen rückversetzte eingeschossige Aufbauten in Holztafelbauweise zu errichten, um insgesamt die bauliche Homogenität der Siedlung zu bewahren. Die Leichtmetallkonstruktion soll schließlich mit profiliertem Aluminiumblech verkleidet werden, einem den sechziger Jahren angepaßten Material. So schimmert hinter der schlichten Form, durch Brüstung und Pergola, ein laubengangähnlicher filigraner Charakter, der sich harmonisch dem bisherigen Abschluß anpaßt. Selbst die überhöhten Treppenhäuser über terrassierten Zugängen, ein ästhetisches Element aus den zwanziger Jahren, fügen sich unauffällig ein.

Der Schreck

Die kleinkarierte Wut der Mieter regt sich nun darum auf, sieht sie doch ihre Idylle ins Zentrum ungerechter Wohnungspolitik gerückt. Warum gerade hier? Schon rasen Laster, Kräne und rattern Betonmischmaschinen in ihrer Phantasie durch die Siedlung. Das Schreckgespenst von Lärm und Dreck macht sich breit bei der Vorstellung, daß schmutzige Baustiefel durchs Treppenhaus und über den Wohnzimmerteppich schlurfen könnten, während auf dem Dach Preßlufthämmer donnern.

Die Angst geht deshalb auch so irrational um, weil die GEWOBAG Pläne und Termine als kaltschnäuzige Entscheidungen auf den Tisch knallte, ohne langfristige Informationen gegeben zu haben. Anstatt mit ihren Mietern das Projekt gemeinsam anzugehen, hat sie gehofft, diese im Schilderwald der Vorschriftsregeln zu halten, wo nichts als Ruhe ist. Jetzt kreuzen plötzlich Mieter auf, bellen und sind sauer, weil ihnen zum Umbau beschwichtigend die zeitweilige Umsetzung angedroht wird.

Die Vorstellung, was Leichtbaufertigung bedeutet, erreicht man nicht, indem man verschweigt, daß Umbauten Dreck machen, laut sind und dauern. Sonst hätte GEWOBAG-Chef Herrmann bei seiner Festtagsrede zur Präsentation der Architektenbeiträge nicht so blöde geguckt, als ein Mieter in die Runde raunzte: „Und ick sage dir, ich seh‘ noch den Himmel. Die reißen das Dach weg.“

rola

Die Wettbewerbsbeiträge sind am 5., 6. und 7. Mai in der Von -Moltke-Grundschule, Heckerdamm 221 ausgestellt. Täglich von 17 bis 20 Uhr und am So., 7. Mai, von 12-15 Uhr mit anschließender Diskussion.

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