Siemens - ein leiser Hauch von Silkwood

Leiharbeiter zwei Jahre nach Kontaminierung im Atom-Versuchszentrum Karlstein an Lungenkrebs erkrankt / Klage wegen Körperverletzung / Insgesamt 21 Mitarbeiter wurden erheblich über die zulässigen Grenzwerte hinaus kontaminiert  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Karlstein/Frankfurt (taz) - Der türkische Staatsbürger und Leiharbeiter Necati Demirci hat in Hanau Strafanzeige wegen Körperverletzung erstattet - gegen die Betreiber der Plutoniumfabrik Alkem in Hanau, die Geschäftsleitung der Kraft-Werk-Union (KWU) in Karlstein und gegen eine weitere Hanauer Firma, bei der Demirci als Leiharbeiter unter Vertrag stand.

Necati Demirci war als Reinigungsarbeiter über Jahre hinweg bei den genannten Nuklearbetrieben tätig. Er gehörte zu den 130 KWU-Mitarbeitern, die vor zwei Jahren bei einem Störfall im Atomversuchslabor („Heiße Zelle“) des Werkes im bayerischen Karlstein-Großwetzheim mit Americium kontaminiert wurden, einem Zerfallsprodukt von Plutonium. Der türkische Arbeiter, der unter „Schirmherrschaft“ des Bundesgesundheitsamtes über Monate hinweg im Kernforschungszentrum Karlsruhe und in einer Universitätsklinik -zusammen mit anderen kontaminierten Arbeitern- untersucht wurde, ist jetzt an Lungenkrebs erkrankt.

Im Gegensatz zur Hanauer Staatsanwaltschaft, die im Fall Demirci bereits Unterlagen bei der KWU-Muttergesellschaft Siemens in Erlangen und bei der KWU selbst beschlagnahmte, hat die Staatsanwaltschaft im bayerischen Aschaffenburg zwei Jahre nach Eingang einer Strafanzeige des BUND -Naturschutz - den Störfall von '87 lediglich als „Ordnungswidrigkeit“ gewertet und die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgelehnt.

Die bayerischen Staatsanwälte stützen sich bei ihrer Entscheidung auf Untersuchungen des Bundesgesundheitsamtes und der KWU selbst, wonach bei der Kontaminierung der 130 Arbeiter die Strahlenbelastungsgrenzwerte nicht überschritten worden seien. Doch die Meß- und Bewertungsmethoden des Bundesgesundheitsamtes halten nach Auffassung von Experten einer Überprüfung nicht stand.

Im Rahmen einer Pressekonferenz berichtete gestern der Diplom-Physiker Ulrich Küppers vom Öko-Institut, daß aufgrund der vom Bundesgesundheitsamt ermittelten Strahlungsdosen das Gegenteil der Fall sei: „Durch die Kontaminationen beziehungsweise Inkorporationen des hochgiftigen und knochensuchenden Alphastrahlers Plutonium/Americium 241 muß bei 21 Beschäftigten davon ausgegangen werden, daß die gesetzlich zulässigen Strahlendosen um ein Mehrfaches überschritten wurden.“

Bei diesen 21 Mitarbeitern der KWU sei der Jahresgrenzwert der Knochenoberflächendosis bis zum knapp Neunfachen überschritten worden. Bei den übrigen 109 Beschäftigten seien die Grenzwerte zum Teil gleichfalls überschritten worden, allerdings nur bis zum maximal Dreifachen des noch erlaubten Wertes. Das Bundesgesundheitsamt habe zum einen die Dosis der inkorporierten Menge fehlerhaft berechnet und zum anderen einen fehlerhaften Dosisgrenzwert zugrunde gelegt.

Mangelnde Sachkenntnis wollte den Experten aus dem Bundesgesundheitsamt allerdings keiner der auf der Pressekonferenz anwesenden Sachverständigen und Natur- und Umweltschützer attestieren. Hinter der „Verschleierungstaktik“ des Ministeriums müsse „politische Absicht“ vermutet werden, meinte Eduard Bernhard vom BBU und vom Arbeitskreis Energie des BUND.