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MISSGEBURT DÄMMERT

■ Ulrich Brämer als „Franz“ im „Atelier Internationale Kunst“

Die Bühne ist dämmrig dunkel. Neben einigen wohlgeordneten Bücherstapeln sitzt auf einem alten Lehnstuhl der zweitgeborene Franz von Moor. Nur um ihn geht es, um Schillers Bösewicht, die Ausgeburt des Teufels. Mit stierem Blick liest er dem imaginären Vater das Lotterleben des imaginären erstgeborenen Bruders Karl aus einem Brief vor. Schadenfroh ist die Häme, als Franz es schafft, dem Vater eine briefliche Verfluchung seines Lieblingssohnes abzuringen. Ein wahres Scheusal ist er, der seinen Bruder so erbarmungslos haßt, der geil und gierig nach Karls Braut und des Vaters Hof trachtet. Schwein das - oder?

Bei Schillers Räubern ging das irgendwie reibungsloser, dem Kerl an die theatralische Gurgel zu gehen, ihm die traumatischen Leidensgeschichten all seiner hilflosen Opfer um die Ohren zu hauen. Aber die eben fehlen; weder der alte Moor noch Bruder Karl noch die vergötterte, vergötternde Amalia treten auf. Sie bleiben schattenhafte Scherenschnitte, die von Franz beleuchtet werden, deren Aktionen - von eingespielten Zwischentexten grob umrissen kein Eigenleben, sondern nur traumatische Bedeutung haben. In seiner ersten Eigenproduktion stellt Ulrich Brämer „die Gedanken des Franz von Moor, mit Intrigen beginnend und im Selbstmord endend“ vor, herausgepult aus Schillers Schauspiel Die Räuber, hineingepult in eine nicht mehr dramatisierbare Generation.

Franz, der ewig Zweite, der wenig geniale andere Sohn, der pflichtgemäß Bruderliebe Heuchelnde, holt aus zum großen Rachefeldzug, um sich zu befreien. Ein Psychogramm entsteht, das bei Franz‘ kindlichen Frustrationen ansetzt und ihn als den eindeutig zu kurz Gekommenen entblößt, der sich nun gewaltsam zum Mittelpunkt der Welt hochhievt: Zum Diktator schwingt er sich auf, schmeißt den greisen Vater ins Verlies und Amalia, die ihm ums Verrecken nicht gefügig werden will, ins Kloster. Am Ende wird ihm natürlich die Despotie nicht zur Befreiung, sondern zum Verhängnis - aber nicht, wie das Schauspiel es glauben machen will, wegen seiner Sündhaftigkeit und moralischen Farbenblindheit, sondern weil wieder nicht eintritt, was er sich am sehnlichsten wünscht: Nicht geliebt wird er, sondern gefürchtet. Und so ist der letzte Schritt die unvermeidliche Erlösung: Karl kehrt als integrer Retter zurück und macht ein letztes Mal die Existenz seines Bruders zunichte. Franz bringt sich um.

Bei all dem geht groteskerweise Schiller nicht etwa unter, sondern taucht erst richtig auf - gerade weil kaum moralisches Pathos vom Theaterhimmel tropft. Daß Schiller in der Vorrede zu seinem Stück den „großen Bösewicht“ und den „großen Rechtschaffenen“ dicht nebeneinanderstellt, zeigt, wie sehr er selbst an der sittenstrengen Schablone zweifelt, nach der er sein Schau(er)spiel ausgehen läßt. Der Text der 90minütigen Inszenierung von Ulrich Brämer steht so weitgehend im räuberischen Original. Es sind schlicht die Partien, die Franz zu sprechen hat, zu einem unheimlichen Monolog zusammengewachsen. Musik und Beleuchtung machen ihn spannend wie einen Thriller.

Christian Vandersee

„Franz“, nach Schillers „Die Räuber“, noch am 24., 29.-31.5 und 1.-7. 6., jeweils 20 Uhr, im Atelier Internationale Kunst, Dahlmannstraße 11, 1-12.

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