Pflegekinder - laut und dreckig?

■ Vermieterin klagt gegen eine Erzieherin, die in ihrer Wohnung sechs Pflegekinder betreut / Amtsgericht muß entscheiden, ob eine solche Großpflegestelle ein Gewerbe darstellt / Urteil von grundsätzlicher Bedeutung

Vor dem Amtsgericht Charlottenburg läuft derzeit ein Prozeß, der für viele Berliner Eltern und ihre Kinder große Folgen haben könnte. Es geht darum, ob Sabine R. weiterhin das Recht hat, in ihrer Wohnung eine Tagesgroßpflegestelle zu unterhalten. Seit 1987 betreut die ausgebildete Erzieherin neben ihrem eigenen Sohn tagsüber fünf Pflegekinder. Ende 1988 erhielt sie eine fristlose Kündigung: durch die Pflegekinder werde die Wohnung widerrechtlich gewerblich genutzt, so die Hausverwaltung. Außerdem würde das Treppenhaus überproportional verschmutzt und die anderen Mieter fühlten sich durch abgestellte Kinderwagen belästigt. Sabine R. wollte die Kündigung nicht einfach hinnehmen. Es kam zu einer Räumungsklage. Letzte Woche fand der zweite Gerichtstermin statt.

Die Pflegekinder werden Sabine R. vom Bezirksamt vermittelt. Pro Kind erhält sie 494 DM Pflegegeld und 254 DM Erziehungsgeld. Von diesen Einnahmen muß sie alle Kosten bestreiten, die sich durch die Betreuung der Kinder ergeben

-„bloß die Windeln nicht!“ Die Kinder werden morgens um acht gebracht und bleiben in der Regel bis 14 Uhr 30 bei Sabine R.. „Das ist alles genehmigt vom Bezirksamt“, erklärt sie. „Ich stehe unter ständiger Kontrolle.“ Die Eltern der Kinder, die sie betreut, sind berufstätig. Viele sind Alleinerziehende. Die Großtagespflegestelle ist für sie eine Alternative zu Kita oder Kinderladen. „Das Ganze ist mehr wie eine Großfamilie“, erklärt Sabine. „Es bietet gerade für kleinere Kinder die Möglichkeit, wie im Familienverband betreut zu werden.“ Ihre Pflegekinder sind zur Zeit 2 bis 4 Jahre alt. Großpflegestellen heißt es, wenn mehr als vier Kinder, maximal acht, betreut werden, wobei die eigenen Kinder mitgezählt werden. In Berlin gibt es etwa 2.000 solcher Stellen. Etwa 6.000 Kinder sind im Rahmen der Tagespflege in kleineren Gruppen untergebracht. Um ein Vielfaches größer ist die Zahl der Kinder, die auf eine Pflegestelle warten - zur Zeit etwa 26.000.

Von ihnen bräuchten 14.000 sofort eine Unterbringungsmöglichkeit. 6.000 weitere, vor allem Kinder von Alleinerziehenden, haben einen Warteplatz mit Dringlichkeitsstufe. Da der Bedarf so offensichtlich ist, wird Sabine R. von allen Seiten unterstützt. Sowohl das Bezirksamt Wilmersdorf als auch die Senatorin für Jugend und Familie haben an die Vermieterin appelliert, die Kündigung für Sabine R. zurückzuziehen. Bislang ohne Erfolg.

Die Klägerin konnte ihre Behauptung, die anderen Mieter fühlten sich durch die Kinder belästigt, vor Gericht bislang nicht überzeugend belegen. Inzwischen hat wurde Sabine R. ein letztes Angebot gemacht: sie könne bleiben, wenn sie sich auf drei Pflegekinder beschränke. Das Urteil, das auch für die Zukunft der anderen Großpflegestellen entscheidend sein könnte, wird am 14.Juni verkündet.

-guth