: Der Einstieg in die Auseinandersetzung bleibt aus
■ Noch immer gibt es keine Erklärung der RAF zum Abbruch des Hungerstreiks
KOMMENTAR
Selten ist soviel spekuliert worden wie in den vergangenen Monaten seit Beginn des zehnten Hungerstreiks der Gefangenen aus der RAF. Während des Streiks wurde aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln darüber spekuliert, wie denn nun die Erklärungen aus den Knästen wirklich zu verstehen seien, ob die signalisierte politische Auseinandersetzungsbereitschaft der Gefangenen tatsächlich ernst zu nehmen oder ob der neue Tonfall nicht doch nur pure Taktik sei. Aufs neue spekuliert wird nun, seit die Gefangenen ihren Hungerstreik in seiner zweiten zugespitzten Phase abbrachen. Während die Unterstützergruppen ihre Ratlosigkeit in einer sechszeiligen Presseerklärung mit der Parole: „Der Kampf geht weiter“ dokumentierten, nahmen andere den Abbruch zum Anlaß, den Gefangenen eine neue Politikfähigkeit zu bescheinigen. In welche Richtung die diversen Spekulationen und Erwartungen in den unterschiedlichen Kreisen auch immer wuchern - allerorten gewartet wird auf die Erklärung der Gefangenen zum Abbruch des Streiks.
Angekündigt war die Erklärung zunächst für Anfang der vorletzten Woche, dann für Mitte der vergangenen Woche - und mittlerweile wird vorsichtshalber schon gar kein Termin mehr genannt. Von seiten der Anwälte werden die Verschiebungen mit Kommunikationsproblemen unter den Gefangenen erklärt. Das ist sicher auch ein realer Grund: Konnten einige der Gefangenen während der bedrohlichen Situationen im Streik in telefonischen Kontakt untereinander treten, so war damit nach Abbruch des Streiks auch gleich wieder Schluß. Und sollte es tatsächlich so sein, wie außerhalb der Knäste derweil ebenfalls spekuliert wird, daß es ernsthafte Differenzen unter den Gefangenen gibt, dann wird es mit der Erklärung möglicherweise auch noch etwas länger dauern falls es überhaupt eine gemeinsame Erklärung geben wird. Auch drei oder vier Erklärungen seien denkbar, ließen die Anwälte verlauten und schürten damit aufs neue ebenso die eher hämischen Gerüchte über „Differenzen im Gefangenenkollektiv“. Daran mag vieles aufgebauscht sein, eben wegen jener Häme. Denn daß es unter Menschen eines politischen Zusammenhangs partout und prinzipiell niemals Differenzen gäbe, kann wohl niemand je ernsthaft geglaubt haben, auch wenn dies von den Gefangenen nach außen stets unbeirrt behauptet wurde.
Die Frage ist daher eher, ob politische Differenzierungen jetzt endlich auch einmal nach außen transportiert werden oder ob sie erneut mit den hinlänglich bekannten Sprachschablonen des Erklärungsjargons verkleistert werden. Wer die verschiedenen Erklärungen der Gefangenen während des Hungerstreiks sorgfältig gelesen hat, dem sind Unterschiede aufgefallen. Bei genauerem Überlegen kann es auch nicht überraschen, daß die Erklärungen während dieses Hungerstreiks sich teilweise nicht nur von den früheren, sondern auch untereinander unterschieden haben. Ein Teil der Gefangenen sitzt seit zehn, fünfzehn oder gar achtzehn Jahren im Knast, davon über lange Zeiträume in strikter Isolation, andere seit drei oder auch fünf Jahren. Teilweise haben sie sich noch nie im Leben gesehen.
Das mögen im einzelnen auch Gründe dafür sein, daß seit Ende des Hungerstreiks noch nichts aus dem Knast zu vernehmen war. Hinzu kommt, daß die Gefangenen auf die Erwartungen zu reagieren haben, die sie seit Beginn dieses zehnten Hungerstreiks befördert haben: Sie haben erklärt, daß sie als Teil der bundesrepublikanischen Linken an deren Diskussionsprozessen teilhaben wollen. Das würde den Einstieg in die bislang nicht geführte Auseinandersetzung mit dem großen Teil der Linken hierzulande bedeuten, der die Praxis des bewaffneten Kampfes hier und heute nie als revolutionäres Konzept beklatscht hat. Wenn die signalisierte Diskussionsbereitschaft ernst gemeint ist, dann steht diesmal eine tatsächlich politisch differenzierte Erklärung aus. Dabei kann es dann nicht nur darum gehen zu erklären, warum der Hungerstreik abgebrochen wurde und ob das Ergebnis aus Sicht der Gefangenen als Erfolg oder Zwischenergebnis oder was auch immer gewertet wird. Es geht darum zu konkretisieren, was mit den politischen Perspektiven gemeint ist, von denen bislang stets nur ausgesprochen vage die Rede war. Und auch ein Hinweis auf die Überprüfung der eigenen politischen Praxis steht seit Jahren aus. Die Zeit, in der stets nur von der Diskussion als Perspektive die Rede war, ist vorbei.
Maria Kniesburges
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