: Mordprozeß gegen zwei Teenager
■ Eine 15jährige Türkin und ihre gleichaltrige deutsche Freundin stehen wegen des Vorwurfs vor Gericht, die Mutter der Türkin ermordet zu haben
Unter Ausschluß der Öffentlichkeit beginnt heute vor einer Jugendstrafkammer des Landgerichts der Prozeß gegen eine 15jährige Türkin und ihre gleichaltrige deutsche Freundin wegen Mordes. Die Staatsanwaltschaft wirft den beiden vor, am 9.Dezember 1988 die 30 Jahre alte Mutter der Türkin aus Habgier erschossen zu haben, um in den Besitz von 3.600 Mark zu kommen. Die Anklage wegen Mordes basiert auf einem Geständnis, das das deutsche Mädchen am 14.Dezember abgelegt hatte, nachdem die beiden zuvor ausgesagt hatten, die Mutter auf deren eigenes Verlangen hin getötet zu haben. Was die Angeklagten heute vor Gericht aussagen werden, bleibt abzuwarten. Aber daß die Mutter, Selma A., verlangte getötet zu werden, erscheint im Hinblick auf ihre mehrfach geäußerte Suizidabsichten nicht völlig ausgeschlossen.
Ayse B. und Kirsten A. (Namen von der Redaktion geändert) waren zur Tatzeit 14 Jahre alt. Ayse B. ist das Älteste von drei Kindern. Die Ehe ihrer Eltern, Selma und Ahmet A. war von Anfang an sehr problematisch. Selma A. flüchtete wiederholt mit ihren Kindern ins Frauenhaus, weil sie von ihrem Mann geschlagen wurde, kehrte aber immer wieder zu ihm zurück. Anfang 1985 machte sie ihre Ankündigung jedoch wahr und reichte die Scheidung ein. Sie hatte sich in den jungen Türken Mustafa S. verliebt. Die beiden waren noch nicht zusammengezogen, als am 7.August 1986 das Furchtbare geschah: Ahmet A. lauerte dem Liebespaar in der Skalitzerstraße auf, und stach mit einem Messer auf Selma ein. Selma wurde nur deshalb nicht getötet, weil Mustafa mit einer Holzlatte dazwischen ging und dafür seinerseits den Messerstichen zum Opfer fiel: Er verblutete am Tatort. Ahmet A. wurde von einer Schwurgerichtskammer wegen versuchten und vollendeten Totschlags zu elf Jahren Haft verurteilt. Das Gericht stellte in dem Urteil eine Art „Herrschaftsgewalt“ des Angeklagten „über Eigentum“ fest. Laut Prozeßakten hatte Ahmet seine Frau Selma früher vor ihren Augen in der gemeinsamen Wohnung mit anderen Frauen betrogen.
Die schwerverletzte Selma A. hatte den Angriff nach mehreren Operationen überlebt. Seit dem Tod Mustafa S.‘ war die Frau - die von ihren Bekannten und Verwandten aufgrund des Liebesverhältnisses geächtet worden war - sehr depressiv und lebensüberdrüssig und äußerte wiederholt Suzidabsichten. Zuletzt lebte sie im Hamburg, die Kinder waren zeitweise im Heim. Als sie am 9.Dezember ums Leben kam, war sie mit ihrer Tochter Ayse bei ihren Eltern in Kreuzberg zu Besuch. Nach Polizeiangaben wurde sie durch einen Schuß in die Stirn getötet, als sie mit geschlossenen Augen auf dem Sofa lag und über Kopfhörer Musik hörte. Ayse und Kirsten - letztere soll geschossen haben - flüchteten aus der Wohnung und nahmen die Ersparnisse der Mutter mit. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, daß Ayse mit der Tötung der Mutter die angekündigte Rückkehr in die Türkei verhindern wollte. Ayse und Kirsten sitzen dem Erlaß des Haftbefehls wegen Mordes am 14.Dezember in der Strafanstalt Plötzensee in U-Haft. Ihre Vereidiger hatten sich bemüht, sie bis zum Prozeß in einem Heim unterzubringen, aber das wollten sie nicht. Die Mädchen wären nicht strafmündig, wenn sie zur Tatzeit jünger als 14 Jahre gewesen wären.
plu
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