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Den Aussiedler-Begriff neu definieren

Diskussionsvorschlag eines Mitglieds der Berliner Alternative Liste zur Ausländerpolitik der AL / Aussiedler wie Flüchtlinge behandeln / Zuzug soll quotiert werden / Position der „offenen Grenzen“ überdenken  ■  Aus Berlin Brigitte Fehrle

Mit einem nicht nur politisch, sondern auch parteiintern konfliktträchtigen Vorschlag zur Lösung des „Aussiedlerproblems“ ist jetzt der Berliner Abgeordnete der Alternativen Liste Michael Haberkorn vorgeprescht. Er schlägt vor, die gesetzliche Definition dessen, wer Deutscher ist, zu ändern und die bisher als deutschstämmig geltenden Angehörigen der Ostblockstaaten zukünftig wie normale Flüchtlinge zu behandeln. Selbst über eine generelle Zuzugsquote will Haberkorn diskutieren. Nicht nur in Bonn wird dieser Vorschlag auf Widerstand stoßen, er widerspricht auch der AL-Grundsatzposition der „offenen Grenzen“.

Für Haberkorn ist diese „scheinbar unantastbare moralische Position“ inzwischen zum „Dogma“ geworden. Denn, so begründet er in seinem Papier, „zu viele Fragen bleiben offen“. Hintergrund ist, daß sich die Alternative Liste in der Regierungsverantwortung schier nicht zu bewältigenden stadtpolitischen Problemen gegenüber sieht, die zwar durch Aus- und Übersiedler nicht verursacht, aber doch verschärft werden. Beispiel Wohnungsmarkt: Die Volkszählung hat einen Fehlbedarf von 70.000 Wohnungen in Berlin ergeben. Das ehrgeizige Ziel des rot-grünen Senats, bis zum Ende der Legislaturperiode 28.000 Wohnungen neu zu bauen, ist dafür nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Gleichzeitig rechnet der Senat ebenfalls bis Ende 1992 mit 100.000 Aus- und Übersiedlern, die nach Berlin kommen und hier auch bleiben wollen. Die Wohnungsnot - eines der großen Probleme Berlins

-würde sich drastisch verschräfen.

Nur über eine Änderung des Bundesvertriebenengesetzes sieht Haberkorn langfristig eine Lösung. Die Definition dessen, wer Deutscher sei, müsse geändert werden. In der Konsequenz würde das bedeuten, Polen und Aussiedler aus anderen Ostblockländern würden wie „normale“ Flüchtlinge behandelt werden, alle Sonderrechte würden entfallen. Angesichts der Tatsache, daß keine unmittelbare Nachkriegssituation mehr besteht, müsse man darüber diskutieren, ob diese gesetzlichen Grundlagen noch „zeitgemäß“ seien, fordert Haberkorn.

Kurzfristig aber müsse der Berliner Senat den „wohnungspolitischen Notstand“ erklären, fordert Haberkorn, und die anderen Bundesländer müßten in die Pflicht genommen werden. Die Aussiedlerquote für Berlin soll von jetzt acht auf 2,7 Prozent gesenkt werden. Doch damit ist Anfang der Woche bereits Sozialsenatorin Stahmer (SPD) in Bonn abgeblitzt. An die Quote will keiner ran, erklärte der Sprecher von Ingrid Stahmer. Die meisten der Aus- und Übersiedler wählen als zukünftigen Heimatort Berlin. 1988 hat die Stadt knapp 20.000 Menschen aufgenommen und die Quote damit übererfüllt. Im Vergleich: In Hamburg waren es im selben Zeitraum knapp 5.000, das Saarland hat gar nur 1.300 Menschen aufnehmen müssen.

„Menschliche Tragödien“ sieht der AL-Abgeordnete Haberkorn auf die Stadt zukommen, und ein anderes Mitglied der Fraktion fürchtet gar „polnische Slums“ in der Stadt. Das bringt für die AL und deren Postulat einer multikulturellen Gesellschaft auch politische Probleme mit sich. Wie, so fragen sich die Parteistrategen, können wir die Akzeptanz dieses Konzepts in der Bevölkerung durchsetzen, wenn die Leute real die Erfahrung machen, daß Aus- und Übersiedler, zum Beispiel bei der Zuweisung von Sozialwohnungen, bevorzugt werden. Haberkorn will deshalb die Quotenregelung als „Chanche“ begriffen wissen, „mehr Spielraum“ zu haben für die Werbung um breitere Akzeptanz für die multikulturelle Gesellschaft in der Bevölkerung. Eine „absehbare Überfrachtung“ Berlins mit sozialen Brennpunkten schlage mit Sicherheit in der Öffentlichkeit gegen Flüchtlinge, Aus- und Übersiedler und generell gegen Ausländer zurück, mutmaßt Haberkorn.

Doch damit stößt er parteiintern bei vielen auf Granit. Der Ausländerbereich der AL und die seit Jahren in der Ausländerpolitik engagierte derzeitige Fraktionsvorsitzende Heidi Bischoff-Pflanz sind strikt gegen jede Quotenregelung. Nicht nur, weil sie der AL Grundsatzposition nach offenen Grenzen widerspräche, sondern auch weil sie „nichts bringt“. DDR-Umsiedler würden sowieso nicht darunter fallen, meint Frau Bischoff-Pflanz, also richte sich die Quote nur gegen die Polen. Aber auch die könnten, sobald sie als Deutsche anerkannt seien, ihren Wohnsitz frei wählen. Viele würden eben dann erst nach Berlin kommen.

In der AL weiß man, daß man sich mit dem Thema auf glattem Untergrund bewegt. Wenn gerade die ausländerfreundlichste Partei über eine Begrenzung des Zuzugs von Fremden diskutiert, liegt die Frage nahe, ob sie damit nicht rechtsradikales Potential aufwühlt. Davor warnt auch Frau Bischoff-Pflanz. Denn mit der Diskussion über Quoten, sagt sie, „leistet man möglichen fremdenfeindlichen und rechtsradikalen Stimmungen Vorschub“.

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