: Das Primat der Ökonomie
Abstiegbedrohte Nürnberger putzen den Meister 2:1 /Ein Schelm, wer schlechtes dabei denkt ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler
Die Wiederaufarbeitungsanlage konnte und durfte in Wackersdorf nicht mehr weitergebaut werden. Der neue deutsche Meister Bayern München konnte und durfte in Nürnberg nicht gewinnen. Das hat beides den gleichen Grund. Das vielzitierte „Primat der Politik“ bzw. „Primat des Trainers“ gibt es nicht. Statt dessen regiert die Ökonomie, sprich hier die Energiewirtschaft und da die Fußballmanager.
Die nahtlose Übereinstimmung von Staatshandwerk und Ballkunst wurde in Nürnberg augenfällig demonstriert. Schon eine Woche vor dem 149. Bayerischen Derby gestand der in Nürnberg ungeliebte Bayern-Manager Uli Hoeneß, daß er „natürlich den Club liebend gerne weiter in der Bundesliga zum Gegner hätte“: ein volles Haus und damit Nettoeinnahmen von über einer Million Mark sind damit immer pro Begegnung gesichert. Was liegt dann also näher, als daß der schon feststehende deutsche Meister in Nürnberg nicht gewinnen will? Bei einem Sieg der Bayern wäre der Abstieg des ruhmreichen Nürnberger „Club“ nur noch schwer zu vermeiden gewesen.
Doch zu offensichtlich darf das alles natürlich nicht passieren - da sei der Deutsche Fußballbund vor. So durfte denn auch Bayern-Trainer Jupp Heynckes vor und mit besonderem Nachdruck nach dem Spiel betonen: „Wir wollen immer gewinnen, wir haben nichts zu verschenken.“ Auch die Bayern-Spieler legten sich vor der Partie verbal mächtig ins Zeug, insbesondere die mit Millionensummen aus Nürnberg weggelockten Kicker, die nun in München und deswegen auch in der Nationalmannschaft kicken dürfen (Reuter, Dorfner und jetzt noch Schwabl). Und schließlich kann man ja auch in der vergangenen Woche etwas zu viel gefeiert haben.
Schon als die Mannschaften aufs Spielfeld laufen, unkt ein gewiefter Fußballanalytiker, da hätte es wohl schon in der Kabine einen Grund zum Trikottausch gegeben. Der „Club“, ungewohnt ganz in Rot, knüpft in den ersten 15 Minuten nahtlos an die vergangenen Spiele an. Die wenigen Flanken landen weit hinter dem Tor, bis zur Perfektion wird durch Querpässe in der eigenen Hälfte Spielverzögerung betrieben.
Die Bayern, ganz in Weiß, werden serienweise wie magisch von der Abseitsfalle angezogen und spielen ihrerseits quer. Auch Schiedsrichter Pauly hat seinen Part gelernt und sorgt dafür, daß sich die Kontrahenten in Ruhe lassen. Kommt ein Nürnberger einem Bayern zu nahe, entscheidet er zwar oft grundlos, aber dafür unbeirrbar und sofort auf Freistoß. Ein Pfostenschuß von Club-Stürmer Wirsching an das Bayerntor in der zehnten Minute paßt bis dahin überhaupt nicht zum Spiel.
Wenig später beginnt ein fröhliches Schützenfest auf das Bayerntor. Die Unaufmerksamkeiten und Nachlässigkeiten der Bayern Abwehr sind dabei eines deutschen Meisters höchst unwürdig. „Jetzt fehlt nur noch, daß der Augenthaler seine Sonnenbrille aufsetzt“, kommentiert anfangs erwähnter Analytiker. Doch dies tut „Auge“ nicht. Dafür legt er gegen Ende des Spiels ein kleines Päuschen im Sitzen auf dem Rasen ein.
Es kommt, wie es kommen mußte, und wahrscheinlich auch irgendwie kommen sollte. In der 33. Minute nutzt Wirsching einen Querpaß und schießt völlig ungedeckt aus 13 Metern unhaltbar zum 1:0 für den Club ein. Und weil es so schön war, darf Sane in der 43. Minute zum 2:0 einköpfen.
Das ist den Bayern nun zuviel. In Sorge um ihren guten Ruf gehen die frischgebackenen deutschen Meister in der Folge energisch ans Werk, setzen nach und haben postwendend Erfolg. Nach einem von insgesamt fünf Eckbällen (der Club hat nur zwei) steigt Augenthaler und läßt Club-Torwart Andy Köpke keine Chance: nur noch 2:1.
„In der Halbzeitpause habe ich meine Spieler daran erinnert, daß sie die Verpflichtung haben, voll zu spielen“, tut Bayern-Trainer Heynckes nach dem Spiel der Presse kund. Schon wenige Minuten nach Wiederbeginn schießt Wohlfahrt knapp daneben. Die Bayern machen zeitweilig Druck, und der Club verlegt sich zwischendurch aufs Kontern. Das Spiel wogt hin und her, die Bayern auf Ergebniskosmetik ohne Siegeswillen, der Club mit zunehmender Spielzeit auf Halten bedacht.
Die Club-Abwehr steht, vor allem Torwart Köpke darf sich letztendlich als Matchwinner feiern lassen. Sane hat gleich mehrfach das 3:1 auf dem Fuß, doch in der 69. Minute steht der Innenpfosten auf seiten der Bayern. Dafür mußten vier Minuten zuvor zunächst Dittwar und dann kurz darauf Giske für die Nürnberger in höchster Bedrängnis auf der eigenen Linie klären.
In den letzten zehn Minuten geben die Münchener jegliche Anstrengung auf, das Ergebnis zu verbessern. Der Club seinerseits zeigt Angst vor dem Weiterspielen, Torwart Köpke wird zur beliebtesten Anspielstation. Mit einem laustarken Pfeifkonzert erinnern die 42.000 Zuschauer im damit ausverkauften Stadion den Schiedsrichter an den fälligen Schlußpfiff, um dann endlich in frenetischem Jubel auszubrechen. Hilfe vom Nachbarn? „Die Spannung ist raus, der Druck ist weg“ (Heynckes).
Club-Trainer Gerland, von Abstiegssorgen nun weitgehend entledigt, spricht dagegen von „einem schönen Fußballtag“. „Wir haben ja schließlich den deutschen Meister geschlagen.“
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